Das Ende der Welt (German Edition)
Halle rennen. Ich steuerte auf ein Hochhaus zu, das leerzustehen schien und dessen Tür weit offen stand. Ich stolperte eine Treppe hoch in den ersten Stock, wo ich mich in einem Schrank versteckte. Durch die gesplitterte Tür konnte ich in den Raum sehen, in dem umgeworfene Schreibtische, zerschlagene Aktenschränke und aufgeschlitzte Teppiche herumlagen. Im matten Licht flirrten schmale Staubsäulen, die wie Speere in den Raum ragten.
Hoffentlich haben sie Leela nicht erwischt, dachte ich verzweifelt.
Nach einer Weile hörte ich Geräusche auf der Treppe. Jemand betrat den Raum. »Hallo!«, rief eine zaghafte Stimme. Es schien nur ein Verfolger zu sein, und so stürzte ich aus dem Schrank, die Faust erhoben, und prallte zurück. Vor mir stand ein Mädchen und hielt sich die Arme schützend vor das Gesicht.
»Wer bist du?«, fragte ich eisig, die Faust noch immer erhoben. »Warum bist du hinter mir her, und was willst du?«
Das Mädchen war etwa in meinem Alter. Es trug eine blaugraue Uniform und war eindeutig ein Ordner. Ich sah immer wieder zur Treppe und erwartete jeden Moment, dass ihre Kameraden auftauchten.
»Keine Sorge!«, sagte das Mädchen. »Außer mir hat niemand gesehen, dass du dich hier versteckt hast.«
»Warum sollte ich dir trauen?«, fragte ich.
»Weil du keine andere Wahl hast. Ich heiße übrigens Astrid«, sagte das Mädchen. »Du bist Kjell, oder?«
Ich sah sie erschrocken an. »Ich werde dich nicht verraten«, sagte sie. »Ich bin auf deiner Seite.«
Sie zog ein gefaltetes Blatt Papier aus ihrer Brusttasche und hielt es mir hin. Ich las:
Volksbürger! Dieses Regime ist die Diktatur des Bösen und bis ins Innerste verfault. Cato regiert mit Lügen. Er sät Hass und Misstrauen. Gebt unser höchstes Gut nicht auf: die Fähigkeit zu entscheiden. Entscheidet euch für die Freiheit. Bekämpft den Diktator und seine Schergen.
Ich ließ das Flugblatt sinken. »Dafür können sie dich hängen.«
Astrid zuckte mit den Schultern. »Sie hängen einen schon für die falschen Gedanken. Wer nicht in Catos Schafherde mitblökt, der ist automatisch ein Verräter. Sie haben meine Eltern abgeholt und meine Brüder.«
»Und warum trägst du dann eine Uniform?«, wollte ich wissen.
Das Mädchen sah an sich herunter und lächelte traurig. »Ja, ist das nicht verrückt? Ich muss mich wie ein Schaf anziehen und wie eins riechen, sonst fressen mich die Wölfe. Aber dadurch bin ich unverdächtig und komme überallhin.«
»Was passiert mit den Leuten, die sie abholen?«
Astrid zuckte mit den Schultern. »Man sagt, sie werden in ein Lager gebracht und umerzogen, aber niemand weiß etwas Genaues. Es gibt auch das Gerücht, dass die Gefangenen in den Minen arbeiten müssen.« Sie sah mich nachdenklich an: »Was machst du eigentlich in Hannover? Hat Burger dich geschickt, damit du hier einen Anschlag verübst?«
Ich lachte überrascht. »Ich gehöre nicht zu Burger.«
Astrid zog die Augenbrauen hoch. »Nicht?«, fragte sie. »Aber warum hast du dann versucht, Amandus zu töten, und seine Tochter als Geisel genommen?«
Gerade als ich ihr antworten wollte, krachte es im Erdgeschoss. »Pst«, machte Astrid, legte sich den Zeigefinger auf den Mund und spähte ins Treppenhaus. »Astrid, bist du das?«, rief eine Stimme herauf. Astrid drehte sich zu mir um und sah mich fragend an. Jetzt wird sie mich verraten, war ich mir sicher, doch sie rief: »Ja, ich bin’s! Hier oben ist niemand.«
Getrappel war zu hören, dann war es unten wieder still.
Sie sah mich noch immer verblüfft an. »Was soll das heißen, du gehörst nicht zu Burger?«
Ich beschloss, Astrid zu vertrauen. Sie hatte eine Ernsthaftigkeit an sich, die mich beeindruckte.
»Cato steckt dahinter«, begann ich. »Er hat mich nur benutzt. Es war eine Verschwörung, um an die Macht zu kommen.« Ich erzählte ihr die ganze Geschichte und ließ nichts aus.
»Das ist unglaublich«, flüsterte Astrid, und ihre Augen glühten, als wäre ein Licht in ihrem Kopf angegangen. »Das müssen wir den Menschen erzählen, Kjell! Mit deinem Wissen können wir Catos Regime stürzen.« Sie lief begeistert hin und her, plötzlich blieb sie stehen. »Aber dann bist du gar kein richtiger Freiheitskämpfer?«, sagte sie enttäuscht.
Ich kam mir vor wie ein Betrüger. Während Astrid die Welt retten wollte, wollte ich nur mich und Leela in Sicherheit bringen. In diesem Augenblick wünschte ich mir, ein anderer zu sein, um Astrid nicht zu enttäuschen. »Und du willst
Weitere Kostenlose Bücher