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Das Ende der Welt (German Edition)

Das Ende der Welt (German Edition)

Titel: Das Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Höra
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wirklich fliehen?«, hakte sie nach.
    »Na ja, man könnte den Widerstand auch von außerhalb organisieren«, sagte ich matt. Astrid sah mich verständnislos an.
    »Und wo ist Leela jetzt?«, fragte sie.
    Leela, durchfuhr es mich. Ich hatte sie komplett vergessen. »Ich muss sie sofort suchen«, rief ich, doch Astrid hielt mich zurück.
    »Das hat keinen Sinn, du weißt nicht, wo sie ist. Es ist zu gefährlich, und überall sind jetzt Soldaten, die nach euch suchen.«
    Das sah ich ein, aber ich konnte Leela nicht allein da draußen lassen. Astrid beschwor mich, im Versteck zu bleiben. Sie würde in ein paar Stunden wiederkommen und sich in der Zwischenzeit nach Leela umhören. Ich versprach ihr zu warten, doch als sie gegangen war, machte ich mich auf die Suche.
    Auf den Straßen war viel Betrieb, dadurch fiel ich nicht weiter auf. Als ich eine Streife sah, drückte ich mich in einen Hauseingang und wartete, bis sie vorüber war. Ich lief eine Weile ziellos herum und überlegte verzweifelt, wo ich Leela finden könnte. Aus der nebligen Luft erhob sich die große Halle des ehemaligen Bahnhofs, und da wusste ich es: Sie würde am Reiterdenkmal auf mich warten. Dort, wo sich früher die Paare getroffen hatten.
    Von einer Wäscheleine klaute ich eine Uniform, die ich in einem Keller überzog, um mich anschließend in einem fast blinden Spiegel zu betrachten. Meine Wangen waren eingefallen, ich hatte Ringe unter den Augen, und meine Unterlippe war völlig kaputt, weil ich dauernd drauf herumbiss. Ich sehe aus wie ein Toter, der noch eine letzte Runde drehen will, dachte ich bitter. In der Uniform fühlte ich mich fremd und verkleidet. »Ich bin nur noch ein Dieb«, murmelte ich.
    Soldaten und Ordnertrupps durchstöberten jeden Winkel in der Stadt. Sie wühlten in jeder Ecke, guckten in Mülltonnen, stocherten in Büschen und drehten jeden Stein um. Hier bin ich, ihr Idioten, mitten unter euch, dachte ich, als jemand nach mir rief: »Du da, komm mal her!« Ein Ordner mit gutmütigem Gesicht winkte mich heran. Er fasste mich an der Schulter, zeigte auf eine enge Lücke zwischen zwei Häusern und sagte: »Du bist ziemlich dünn, Junge, du kommst da bestimmt rein.« Dann schubste er mich sanft in den Spalt und warnte mich noch: »Wenn der Terrorist da drin ist, dann spiel nicht den Helden. Gib uns sofort Bescheid.«
    »Mach ich«, rief ich zurück und hätte am liebsten gelacht, als ich mich in die Öffnung zwängte. Nach ein paar Metern, die ich mich schiebend und quetschend vorwärtsbewegt hatte, wurde der Gang etwas breiter. Fahles Licht, das zwischen den Häusern durchschien, beleuchtete zertretene Spritzen und Glasscherben.
    »Hier ist nichts«, rief ich dem Ordner zu. »Dann komm wieder raus«, war seine Antwort. Er strahlte mich an, klopfte mir auf den Rücken und sagte: »Solche Leute wie dich brauchen wir. Du wirst es noch weit bringen, mein Junge.«
    Ich musste mir das Lachen verkneifen, salutierte und machte, dass ich wegkam.
    Der Bahnhofsvorplatz war leer bis auf ein paar Fußgänger, die eilig vor dem einsetzenden Regen flüchteten, der in dicken Schwaden über das Pflaster trieb. Die Gefangenen hockten in ihrem Drahtkäfig dicht beieinander, während ihre Bewacher sich in den schützenden Bahnhof zurückgezogen hatten. Ich umrundete den Platz und sah mich dabei unauffällig nach Leela um, konnte sie aber nicht entdecken. Ich zog mich in eine Passage zurück und behielt den Platz im Auge. Wenn sie Leela erwischt haben, dann stelle ich mich, ging es mir durch den Kopf.
    Ich musste eine Weile warten und hatte fast die Hoffnung aufgegeben, da sah ich sie. Sie kam direkt auf mein Versteck zu. Als sie auf meiner Höhe war, pfiff ich leise. Leela ging unbeirrt weiter. Gerade als ich noch einmal pfeifen wollte, bemerkte ich die beiden Männer, die an ihr vorbeigegangen waren und ihr nun misstrauisch hinterhersahen. Leela beschleunigte ihren Schritt und bog in eine Unterführung ein. Ich ging ihr eine Weile hinterher. Erst als ich mir sicher war, dass uns niemand verfolgte, holte ich sie ein und zog sie in einen Hausflur.
    »Du hast Nerven«, sagte Leela, und ihre Stimme zitterte. »Du kannst mich doch hier nicht allein lassen.«
    Ich war so froh, sie wiederzusehen, dass ich sie kurz umarmte. Leela wischte sich eine Träne weg. »Ich weine nicht, das kommt vom Regen«, sagte sie grimmig. Im Treppenhaus roch es nach gekochten Kartoffeln.
    Ich erzählte Leela von Astrid.
    »Und wenn sie uns verrät?«, sagte sie.

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