Das Ende der Welt (German Edition)
ihn nicht töten, denn dann überschreitest du eine unsichtbare Grenze und kannst nie mehr zurück. Dann bist du endgültig einer von den anderen.
42
Wann immer Leela mich besuchte, strahlte sie vor Freude. »Ich kann es kaum erwarten, meinen Vater wiederzusehen. Und Berlin«, sagte sie begeistert. »Kjell, stell dir nur mal vor, wie es sein wird, wenn Cato nicht mehr regiert.«
Mittlerweile saß ich seit bestimmt zwei Wochen in dem Loch. Immerhin gaben sie mir vernünftig zu essen, so dass ich zugenommen hatte und wieder kräftiger war. Ich machte jeden Tag Schattenboxen, Liegestütze, Rumpfbeugen, um wieder in Form zu kommen. Und dann, eines Morgens, ließen sie mich raus. Zumindest tagsüber durfte ich mich an Leelas Seite frei bewegen. Erst jetzt sah ich, dass wir in einer alten Kaserne untergekommen waren. Leela und ich marschierten über den verwilderten Exerzierplatz. In den zerfallenen Gebäuden hausten Flüchtlinge und Deserteure, die sich Burger angeschlossen hatten. Und es wurden täglich mehr.
»Burger zieht seine Leute hier zusammen. Wenn wir genug sind, geht es los«, sagte Leela begeistert.
Jubel am Tor lenkte mich ab.
»Die Leute aus der Gegend bringen uns Lebensmittel«, sagte Leela. »Sie unterstützen uns.« Leela plapperte begeistert über den bevorstehenden Sturz Catos. Ich teilte halbherzig ihre Begeisterung, was Leela natürlich auffiel.
»Was ist denn? Worüber grübelst du denn die ganze Zeit nach?«
»Die Zeit in der Zelle war nicht einfach«, redete ich mich raus.
Auf dem ehemaligen Schießplatz stellte Leela sich in die Mitte, breitete die Arme aus und rief: »Etwas Besseres als den Tod finden wir überall.«
»Was redest du denn da?«, wollte ich wissen.
Leela zuckte die Schultern. »Ist aus einer alten Geschichte, die Eltern ihren Kindern früher zum Einschlafen erzählt haben. Ich habe sie von meinem Vater.«
Manchmal schloss Burger sich Leela und mir an. Bei einer dieser Gelegenheiten sagte er: »Hör zu, Kjell. Unsere Vorbereitungen sind fast abgeschlossen, und wir werden bald nach Berlin aufbrechen.« Er sah mir in die Augen. »Ich möchte, dass du dabei bist. Du bist ein wichtiger Zeuge. Aber ich kann dich nicht zwingen. Wenn du weiterhin auf diese Insel im Norden willst, werde ich dafür sorgen, dass die Schlepper dich dorthin bringen.«
Ich sah Leela fragend an.
»Komm mit, Kjell!«, sagte sie.
Für einen Augenblick geriet ich in Versuchung, Burgers Angebot anzunehmen, aber dann sagte ich: »Natürlich komme ich mit.«
»Dann also auf nach Berlin«, sagte Burger und schüttelte meine Hand.
»Auf nach Berlin«, wiederholte ich.
Leelas Augen leuchteten vor Freude.
Nachts schlief ich weiter in der Zelle, doch sie blieb unversperrt. Hin und wieder hörte ich Donard gegen die Wände hämmern und schreien. Er würde uns ebenfalls nach Berlin begleiten. Burger wollte ihn als Pfand benutzen, denn Donards Vater hatte einen wichtigen Posten in Catos Regierung.
Als ich eines Morgens an seiner Zelle vorbeiging, schaute ich durch die Klappe und sagte: »Na, hast du es auch bequem hier oder soll ich dir ein Nadelkissen bringen?«
»Verräter!«, jaulte Donard und schmiss seinen Wasserbecher in meine Richtung. Lachend wich ich zurück.
Würde ich Burger töten, würden Menschen wie Donard an der Macht bleiben, ging es mir durch den Kopf. Es wird immer so weitergehen. Plötzlich bekam ich Lust, alles zu zerstören, mit einer Maschinenpistole in eine Menschenmenge zu feuern. Ich sah die Leute sich schreiend in ihrem Blut wälzen und empfand einen ungeahnten Kitzel. Ich würde alles niederreißen, die Welt in Brand stecken. Gleichzeitig schämte ich mich. Ich kam mir schmutzig vor und verdorben und dachte, ich hätte kein Recht, mich Mensch zu nennen. Was war bloß mit mir los? Ich hätte gern mit Leela darüber geredet, aber sie würde mich sicherlich für ein Tier halten.
Tagsüber half ich, Rekruten auszubilden. Es waren nur Zefs, die nichts vom Kämpfen verstanden. Ich ließ sie bis zum Umfallen durch den Sand kriechen und brachte ihnen den Umgang mit einem Vorderlader bei, der einzigen Waffe, die Burgers kümmerliche Truppe in großen Mengen besaß. Sie beklagten sich, weil ich sie hart anfasste. Ich ließ ihnen nichts durchgehen. Sie bekamen Angst vor mir und gingen mir möglichst aus dem Weg.
»Du bist ein richtiger Schinder geworden«, sagte Leela beim Essen zu mir. »Die Leute beschweren sich schon bei Burger über dich.«
»Gut so«, sagte ich und zeigte mit der
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