Das Ende der Welt (German Edition)
ja den ersten Angriff. Wenn man sich im Kampf bewährt, nehmen sie einem manchmal die Fesseln ab.«
Die Nacht verbrachten wir in einem Zelt, auf dem Rücken schlafend, da wir uns wegen der Ketten nicht umdrehen konnten. Am frühen Morgen scheuchte uns der Feldwebel auf den Appellplatz. Noch schlaftrunken standen wir da und sahen zu, wie die Sonne sich hinter den Wolken müde über den Himmel schleppte. Von den tiefhängenden Blättern der Erlen tropfte das Wasser.
Ich dachte an Leela und fragte mich, was sie ohne mich tun würde. Sie musste denken, ich hätte sie im Stich gelassen. Wie war ich nur auf diese blöde Idee gekommen? Die Armee wird mich in irgendeiner Schlacht verheizen, dachte ich bitter. Dabei hatte ich so viel auf mich genommen, um Cato zu entkommen, und jetzt steckte ich freiwillig meinen Kopf in das Maul der Bestie. Allein dafür hatte ich es verdient, durch eine feindliche Kugel umzukommen. Ich hätte mich ohrfeigen können für meine Dummheit.
Nach dem Appell wurde ich von Mischka losgekettet, blieb aber gefesselt. Ein Soldat führte mich zu einem Zelt, vor dem zwei Männer standen, die sich unterhielten. Einer von ihnen trug eine prachtvolle Uniform. Auch wenn sie die Köpfe von mir weggedreht hatten, erkannte ich den einen sofort: Es war Barnabas. »Du Verräter!«, schrie ich. Hätten die Ketten mich nicht behindert, hätte ich mich auf ihn gestürzt. Jetzt drehte sich der Uniformierte um, und ich erstarrte. Zwar hatte er sich ein kleines Bärtchen wachsen lassen, aber er war es eindeutig: Donard!
Ich schloss die Augen in der Hoffnung, ich hätte ihn mir nur eingebildet, aber als ich sie wieder öffnete, blickte ich direkt in sein grinsendes Gesicht. »Du kleiner Scheißer!«, zischte er und spuckte mich an. »Hast du wirklich geglaubt, du könntest uns entkommen? Cato wird sich freuen, dich zu sehen.«
»Ja, wir haben uns eine Menge zu erzählen«, sagte ich, während ich mir mit dem Ärmel den Rotzfaden aus dem Gesicht wischte.
»Du wirst für alles bezahlen«, drohte Donard.
»Leela haben wir auch«, sagte er. »Ich kann sie natürlich nicht mehr heiraten, sie ist die Tochter eines Staatsverräters. Cato wird mir eine neue Braut suchen. Aus einer Familie, die an die neue Zeit glaubt. Aber vielleicht werde ich Leela als Putzfrau in mein Haus nehmen.«
»Cato wird Leela töten«, sagte ich verzweifelt. »Sie weiß von seinen Intrigen.«
»Lügner!«, schrie Donard. »Du bist mein Gefangener und wagst es, mir so dreist ins Gesicht zu lügen?« Er versetzte mir eine schallende Ohrfeige und drehte sich zu Barnabas um. »Dieses Früchtchen war schon immer eine Gefahr, das habe ich vom ersten Augenblick an gewusst. Die eng stehenden Augen, die tiefe Stirn, dazu dieser breite Brustkorb, die gedrungene Gestalt. Da steckt doch eindeutig etwas von einem Tier drin.«
Barnabas lachte. »Ja, aber kein besonders schlaues.«
»Du Schwein!«, sagte ich. Tränen stiegen mir in die Augen.
»Du kannst so viele Lügen verbreiten, wie du willst, du wirst am Galgen enden«, drohte Donard und stiefelte davon.
»Wie hast du mich erkannt?«, wollte ich von Barnabas wissen, denn nur er konnte mich verraten haben.
»Wie ich dich erkannt habe?«, fragte er. »Wie hätte ich nicht? Ein Junge, ein Mädchen. Schon mal sehr auffällig, trotz eurer wechselnden Identitäten. Ich habe meine Informanten überall. Außerdem war eure Flucht absolut dilettantisch. Dass sie euch nicht früher geschnappt haben, liegt nur daran, dass ihr großes Glück hattet und dass eure Verfolger noch unfähiger sind als ihr.« Mit diesen Worten drehte er sich um und ließ mich stehen. Ein Soldat brachte mich zu einem Jeep und setzte sich neben mich auf die Rückbank. »Du Kameradenschwein!«, sagte er und rammte mir seinen Ellbogen in die Rippen. Ich krümmte mich vor Schmerz, Tränen schossen mir in die Augen. Donard und Barnabas bestiegen einen Jeep vor uns, hinter uns wartete ein LKW mit laufendem Motor, auf dessen Ladefläche eine Handvoll Soldaten saß.
Dann setzte sich die Kolonne in Bewegung. Wir jagten in selbstmörderischem Tempo über die Autobahn. In letzter Sekunde wichen wir einem antiken Backofen aus, der mitten auf der Straße stand. Auch so ein unnützes Ding aus der Vergangenheit, das niemand mehr braucht, dachte ich. Genau wie mich. In Catos neuer Zeit war kein Platz für mich, und ich kam mir uralt vor, als hätte ich mein Leben verschlafen, um als alter Mann wieder aufzuwachen. Mein Todesurteil war gesprochen.
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