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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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hast du recht. Aber mit der Wahrheit kenne ich mich aus, und wenn du die Wahrheit sagst, werde ich dir glauben. Und ich kann dafür sorgen, dass die anderen dir ebenfalls glauben.«
    Er kniff die Lippen zusammen, krauste sein Gesicht und starrte für eine lange Minute zu Boden. Dann sah er mich an, ohne den Kopf zu bewegen.
    »Ich war’s«, sagte er. »Ich wusste, es war falsch. Herrgott! Ich wollte das nicht. Auf gar keinen Fall. Er … kam nach Hause und hat uns überrascht. Mich und Lydia. Zusammen. Sie hatte keine Ahnung. Ich meine, klar, er hat uns erwischt, aber er, er hat sich einfach bloß umgedreht und ist gegangen. Lydia wusste, dass er sauer war, aber mehr wusste sie nicht. Es ist später passiert, an dem Abend. Wir sind gegangen, Lydia ist mit einer Freundin in den Club, aber ich bin zum Haus zurück. Ich bin allein zurück, und dann. Dann.«
    Er starrte die Wand an. Noch mehr Tränen. Seine Lippen bebten.
    »Das war gut«, sagte ich, »aber nicht gut genug. Erzähl mir die Wahrheit.«
    Er wandte sich zu mir. »Das war die Wahrheit«, sagte er verwirrt. »Ich habe gesagt, was passiert ist.«
    »Nein«, sagte ich, »erzähl mir die Wahrheit.«
    »Das habe ich doch«, sagte er. »Ich war’s.«
    »Nein«, sagte ich. »Erzähl mir, wie Lydia Paul umgebracht hat.«

[home]
    56
    I ch war ganz ruhig, meine Aufmerksamkeit ruhte auf Rob Scorpio. Ich schwieg und rührte mich nicht. Ich war ganz und gar lebendig; ich roch Diesel in der Luft und hörte drei Spatzen vor dem Fenster. In der Nachbarwohnung wurde gebadet. Ich spürte den tiefen Bass der Stereoanlage eines Autos, es war einen knappen Kilometer entfernt, in meiner Brust vibrieren.
    »Du bist ein guter Junge«, sagte ich zu Rob, und ich meinte es ehrlich. Vielleicht würde er in einem anderen Leben wegen guter Führung tageweise freibekommen. Vielleicht sogar in diesem. Er hatte Paul nicht umgebracht, das wussten wir beide. Ich kannte niemanden, der für einen geliebten Menschen die Schuld auf sich genommen hätte. Nicht im Kali Yuga. Aber da saß er nun. »Weißt du, niemand wird dir die Geschichte abkaufen. Nie im Leben. Sie ist gelogen, das wissen wir beide. Wenn du ihr helfen willst, solltest du mit der Wahrheit rausrücken.«
    »Scheiße«, sagte er und fing wieder zu heulen an.
    »Du kannst sie nicht retten«, sagte ich, »auch wenn du das möchtest. Ich bewundere dich dafür, ehrlich. Aber es lässt sie in keinem guten Licht erscheinen, wenn ihr neuer Freund die Schuld auf sich nimmt. Das wirkt sehr unsympathisch.«
    Ich wusste nicht, ob das stimmte, aber es klang gut.
    »Du warst dort«, sagte ich, »in
seinem
Haus. Bei Lydia. Was ist dann passiert? Ist Paul nach Hause gekommen?«
    Rob schniefte und sah sich vergeblich nach einem Wunder um. Vielleicht würde Gott morgen ein paar springen lassen, aber hier und heute in Berkeley war nichts zu machen.
    »Ja«, flüsterte er schließlich mit gesenktem Kopf. »So ist es gewesen.«
    »Ja?«, fragte ich bemüht sanft. Es funktionierte.
    »Er … er kam, als ich da war«, sagte Rob. Jetzt würde er mir alles sagen. Es war vorbei. Er schluckte und fuhr fort: »Sie dachte … wir dachten … wir dachten, er wäre längst weg, aber er hatte eine Autopanne. Die beschissene Lichtmaschine!« Er klang verbittert, so als trage das Auto die Schuld an Pauls Tod. Die Lichtmaschine hat versagt, nur deswegen musste Paul sterben. Da kann man nichts machen. »Er kommt also rein. Wir waren nicht … also nicht so richtig. Wir saßen auf dem Sofa und haben nur ein bisschen, na ja, rumgeknutscht. Er kommt rein, und es ist echt verrückt. Natürlich ist es verrückt. Der Typ kommt nach Hause und muss sehen, dass ein anderer quasi auf seiner Frau liegt. Ich meine, ich an seiner Stelle wäre auch ausgeflippt, ich kann das verstehen. Aber ich weiß auch nicht … diese Wut, diese verdammte Wut bei beiden, die war einfach nicht normal. Du liebe Güte, es war, als würden sie sich hassen. Ich meine, du lieber Gott, ich weiß, wie verrückt das klingt.«
    »Für mich klingt nichts verrückt«, sagte ich.
    Er schluchzte jetzt leiser und zitterte ganz leicht.
    »Irgendwie habe ich es geahnt«, sagte er. »Es lag an der Art der beiden, sich anzugucken, und wie sie rumgebrüllt haben. Ich hatte einen Gedanken, eine schreckliche Ahnung … Ich dachte: Aus diesem Zimmer kommt einer von uns nicht lebend raus. Und ich habe Panik bekommen, aber ich habe mir gesagt, bleib ganz ruhig. Es ist bloß ein Streit. Ja, es ist verstörend,

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