Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
Vom Netzwerk:
hatte, war es, als würde seine ganze Wut … Als würde seine ganze Wut einfach verfliegen. Seine Leidenschaft. Er wirkte irgendwie … boshaft. Geschlagen, aber boshaft. So als hätten wir, also Lydia und ich und die ganze Welt, ihm alles Gute ausgetrieben. Da war nichts mehr übrig. Und Lydia schrie immer weiter, weißt du,
du blödes Arschloch, sieh dir an, wozu du mich treibst. Ich hasse dich, verdammt, ich hasse dich!
Und er sitzt bloß da.«
    Für eine Weile schwieg Rob.
    »Er wusste, was sie tun würde, oder?«, fragte ich.
    Rob nickte. »Ich glaube schon. Er war so …« Wieder fing er zu weinen an. »Ich glaube wirklich, dass er es wusste. So wie ich es wusste. Alle außer Lydia wussten, was passieren würde. Es war so … O Mann. So als wären wir auf einem Zug und könnten nicht abspringen. Oder wollten nicht. Wir hätten aufhören können, aber …«
    Er beendete den Satz nicht.
    »Und dann?«
    Rob wischte sich mit der Hand die Nase ab. »Und dann. Sie weint und schreit, fuchtelt mit dem Revolver rum, behauptet, er hätte sie betrogen, er hätte sie nie geliebt, so was halt. Sie schreit und schreit, bis sie nicht mehr kann, sie ist leer. Und dann sieht Paul sie einfach an und sagt:
Ich kann nicht fassen, dass ich so was wie dich mal geliebt habe.
«
    Wir wussten beide, was als Nächstes kam.
    »Das war’s«, sagte er. »Lydia hat auf den Abzug gedrückt.«
    Er schüttelte den Kopf, als könnte er es immer noch nicht glauben.
    »Ich bin aufgestanden und habe versucht, sie aufzuhalten. Ich meine, sobald ich sah, dass sie meinen Colt hat … O Mann. Es war einfach so. Es war wie früher.«
    Wieder tat der Junge mir leid. Ich wusste nicht, wie oft im Leben man miterleben musste, wie der eigene Vater und die eigene Mutter einander umbringen. Aber sein Karma gehörte ihm allein, ich konnte nichts daran ändern.
    »Du weißt, dass du keine Schuld trägst«, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. »Lydia und Paul haben sich vor langer Zeit dazu entschlossen. Lange bevor du oder ich auf die Welt kamen.«
    Er sah mich an. »Das glaubst du wirklich? An Wiedergeburt, und dass man sich sein Leben aussucht und so?«
    Ich sah ihm tief in die Augen. »Absolut«, sagte ich. Ich hatte keine Ahnung, ob es stimmte. »Und eines weiß ich genau. Du bist nicht auf die Welt gekommen, um nur, du weißt schon, der Junge mit dem Revolver zu sein. Du hast noch mehr zu erledigen. Und wenn all das vorbei ist, musst du auf den richtigen Weg zurückfinden und dich drum kümmern, okay? Verstehst du, wie ich das meine?«
    Er nickte. Er hatte verstanden, zumindest hoffte ich es.
    »Du hast die Musik«, sagte ich. Ich versuchte, noch mehr zu finden, das er hatte. »Und du bist jung.« Er antwortete nicht.
    »Und was ist dann passiert?«, fragte ich. »Nachdem sie ihn erschossen hat?« Nun brachte ich seinen Namen ebenfalls nicht mehr heraus, und ihren auch nicht. Die Worte fühlten sich faulig auf der Zunge an, wie alte Blätter und Kompost.
    »Sie hat ihn erschossen«, wiederholte er, und ich merkte, wie erleichtert er war, es endlich laut auszusprechen, und wie entsetzlich er es fand. »Sie hat ihn erschossen, und dann … Ich meine, ich weiß ja nicht, ob du das jemals gesehen hast, so aus nächster Nähe …«
    Ich nickte.
    »Es ist wie eine kleine Explosion. Und dann dauert es eine Sekunde. Ich meine, am Anfang ist es nur ein Loch in seinem Hemd, und dann kommt das Blut.«
    »Ich weiß«, sagte ich. Ich zitterte. »Ich habe es schon erlebt.« Einmal hatte ich einen Mann aus nächster Nähe erschossen, aber bis zu diesem Moment hatte ich mir nicht wirklich ausgemalt, wie es Paul ergangen war. Welche Angst er gehabt haben musste, so ganz allein …
    Ich setzte mich wieder aufs Bett.
    »Seine Augen waren offen. Ich glaube, er hat noch ein paar Sekunden weitergelebt. Oder vielleicht hat er nur lebendig ausgesehen. Es dauerte einen Augenblick, bevor das Blut kam, und Lydia stand einfach nur da. Hat ihm beim Sterben zugeschaut. Es waren nur ein paar Sekunden, da hätte man nichts machen können. Und dann haben wir beide die Nerven verloren«, sagte er. »Es war so … als könnte Lydia es nicht fassen. Sie hat nur noch gestammelt,
o mein Gott o mein Gott.
Weißt du, es war der totale Horror. Sie hat sogar seinen Namen gerufen, so als wäre er gar nicht tot. Ich musste sie mit Gewalt von da wegzerren. Sie hat … sie wollte ihm auf die Beine helfen und so ein Quatsch. Ich habe nur gesagt, Mädchen, dazu ist es zu spät, du

Weitere Kostenlose Bücher