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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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nahm eine Papiertüte aus dem Regal.
    »Wirklich.«
    »Warum?«
    Sie sah mich an. »Das werde ich Ihnen nicht sagen«, sagte sie.
    Sie machte sich daran, Kräuter in die Papiertüte zu schütten und mit der Hand zu mischen. Ich musste an die Würfel denken. Einserpasch.
    »Vielleicht bringt es mich weiter«, sagte ich. »Ich versuche herauszufinden, wer Paul umgebracht hat.«
    Sie hielt für eine ganze Weile mit dem Kräuterglas inne, bevor sie weitermachte.
    »Meine Aufgabe ist es«, erklärte sie, »Wunder zu vollbringen. Für die Leute, die zu mir kommen, bin ich die letzte Hoffnung. Ich kümmere mich um Möglichkeiten, Sie kümmern sich um Fakten.«
    Sie schrieb die Namen der verwendeten Kräuter auf die Papiertüte. Minze, Chrysantheme, Geißblatt.
    »So eine Detektivin bin ich nicht«, erklärte ich. »Ich will einfach nur wissen, wer Paul ermordet hat.«
    »Wird er davon wieder lebendig?«, fragte sie.
    »Vielleicht«, sagte ich. »Vielleicht wird ein Teil von ihm irgendwo wieder lebendig.«
    Ich wollte sagen:
Ich vielleicht,
aber dann wurde mir schnell klar, dass das nicht stimmte.
    Sie faltete die Tüte zu und schüttelte sie.
    »Bereiten Sie einen Tee daraus zu«, sagte sie. »Sie brauchen ihn nicht lange ziehen zu lassen, es handelt sich um eine Blütenmischung. Sie ist geeignet, Ihre Leber abzukühlen und Sie zu erden. Sie könnten Urlaub gebrauchen.« Sie gab mir die Tüte.
    »Und reiben Sie Ihre Nase damit ein.« Sie reichte mir eine kleine Tube, die mich an Lippenbalsam erinnerte.
    »Hilft gegen Nasenbluten«, sagte sie. Schnell fasste ich mir an die Nase. Meine Hand war blutverschmiert.
    »Sagen Sie Bescheid, wenn Sie damit aufhören möchten«, sagte sie. »Tut mir leid, dass ich Ihnen wegen Lydia nicht weiterhelfen konnte.«
    »Doch, könnten Sie«, sagte ich. »Sie wollen nur nicht.«
    »Ja«, sagte sie. »Das stimmt. Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen will.«
    Ich bezahlte für das Gespräch und für den Tee und ging.
    Ich fuhr nach Point Reyes, um nach den Miniaturpferden zu sehen.
    »Wir haben eine Menge Spuren«, sagte ich zu Ellwood James. »Und jede Menge Indizien. Aber leider nichts Konkretes.«
    Danach fuhr ich zum Ort der Wunder. Jake saß in seinem Büro. Wir gingen nach draußen und setzten uns an die Picknicktische.
    »Hast du eine Spur?«, fragte ich.
    »Leider nicht«, sagte er. »Ich würde auf einen Puma tippen. Vielleicht ein Luchs. Das hätte er bedenken sollen, bevor er seine Pferde geschrumpft hat.«
    Was wir hätten bedenken sollen, würde den Ozean füllen. Als ich wieder im Auto saß, raste mein Herz wie wild, weil ich mir auf der Toilette des Ortes der Wunder eine Line reingezogen hatte. Ich wartete, bis mein Herz sich beruhigt hatte, und ließ den Wagen an. Die Sonne schien hell und warm auf den Parkplatz. Es war fast wie im Sommer, es war fast gut.

[home]
    55
    A m hundertachten Tag nach Pauls Tod, an einem Mittwochnachmittag um halb fünf, rief Claude an. Er hatte Rob entdeckt. Ich war zu Hause und zog mich an, denn mein Tag hatte gerade erst begonnen. Ich gab vor, beschäftigt zu sein. Was nicht stimmte. Ich hatte alle anderen Fälle abgegeben. Zum Auto schaffte ich es nicht einmal mehr, ohne immer wieder zum Luftholen stehen zu bleiben. Meine Gedanken hatten sämtliche Konturen eingebüßt und liefen ineinander, überschnitten einander, zerfransten, rissen ab. Als ich angezogen war, stand ich am Küchentresen und schnupfte Kokain, während auf meinem Computer das Video zu Iggy Pops »Gimme Danger« lief.
    Ich hatte mir diese coole Überwachungsnummer ausgemalt – wir verfolgten Rob zu seiner Wohnung und überraschten ihn dort, ich, die abgeklärte Detektivin und Claude, mein treuer Assistent. Aber ich war sauer und high, und so sprang ich stattdessen ins Auto, raste zum Studio, parkte mitten auf der Straße, rannte in den Proberaum, packte Rob von hinten am Kragen seiner bescheuerten Lederjacke – er hatte sich gerade zu Schlagzeuger und Bassist umgedreht – und bohrte ihm meinen Revolver in die Wange.
    »Hi«, sagte ich, »ich bin’s, Claire.«
    Die Band tat so, als passierte das alles gar nicht. Niemand sagte oder tat etwas. Mit aufgerissenen Augen schauten sie zu, wie ich Rob mitnahm.
    Wir brachten Rob nach Berkeley in Claudes Wohnung. Wir hatten es nicht so geplant, aber es erschien sinnvoll. Zumindest für Claude. Ich war high und mein Kopf war voller Dornen und sinnentleert, deswegen beugte ich mich Claudes Urteil. Claude teilte sich seine

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