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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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Dreizimmerwohnung mit einem Mitbewohner, einem aufgeweckten Akademiker, der bei unserer Ankunft in der Küche stand und Rühreier briet. Claude schob ihn unter Entschuldigungen zur Tür hinaus.
    Claude setzte sich ins Wohnzimmer, während ich Rob ins tadellos aufgeräumte Schlafzimmer verfrachtete. Ich wollte Claude aus zwei Gründen nicht im Zimmer haben. Zum einen sollte Claude einen möglichen Fluchtversuch vereiteln, zum anderen war ich der Meinung, mit dem Jungen allein besser fertig zu werden. Einem Mann gegenüber würde er wachsamer sein als mit mir allein. Es war nur so ein Gefühl, doch ich hatte mich nicht getäuscht.
    Als ich Rob auf den Stuhl an Claudes Schreibtisch drückte, war er den Tränen nahe. An der Wand hing ein Poster:
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Darunter eine Postkarte von Vladimir Nabokov am Schreibtisch, wie er gelangweilt in die Kamera schaut. Tja, Vladimir, einige von uns haben Rätsel zu lösen.
    »Erzähl«, sagte ich. »Erzähl mir alles über dich und Lydia und Paul. Und denk bloß nicht dran zu lügen. Nicht mal im Traum.«
    »Ich weiß nicht, was ihr von mir wollt«, jammerte Rob empört. »Ich kannte Paul kaum. Ich meine, ja, ich habe mich in seine Frau verliebt, und ich weiß, das ist nicht in Ordnung. Aber weißt du, so was kommt vor. Er hätte sie besser behandeln sollen. Vielleicht wäre all das nicht passiert, wenn er sie besser behandelt hätte.«
    Ich starrte ihn an. Er war ein Nichts. Ein erbärmlicher Wurm. Ganz besonders im Vergleich zu Paul. Paul, der tot war, während dieses Stück Scheiße noch lebte.
    Ich setzte mich aufs Bett und gönnte mir etwas Zeit, über all das nachzudenken, was ich jetzt besser nicht tat. Paul. Paul, der nicht zurückkäme, selbst wenn alle wussten, wer sein Mörder war. Der Musiker im Wohnzimmer mit dem Revolver. Die Detektivin in ihrem Apartment mit dem zusammengerollten Fünfziger. Ich könnte ihm nie erzählen, wie ich seinen spektakulären Mord aufgeklärt hatte. Zumindest nicht in absehbarer Zeit.
    Rob stand auf, als würde ich ihn laufenlassen.
    »Nein, nein«, sagte ich schnell, zog die Waffe und richtete sie auf Rob. »Genug geträumt. Wir müssen bei der Sache bleiben.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich hatte keinen Plan. Ich hatte auf die göttliche Vorsehung vertraut, die mich mit Hinweisen versorgen würde. Die göttliche Vorsehung hatte versagt. Ich war sprachlos.
    »Ich weiß nicht, was ihr von mir wollt«, wiederholte er in weinerlichem, defensivem Tonfall. »Ich habe von nichts eine Ahnung.«
    Auf einmal wusste ich, das hier war echt. Ich war am Leben, und ich wusste genau, was ich zu sagen hatte. Mein Kopf war klar, und die Drogen in meinem Körper ballten sich zu einer harten, scharfen Gnadenlosigkeit zusammen, mit der ich die Aufgabe zu Ende bringen würde.
    »Nein«, sagte ich, »damit ist es nun vorbei.«
    Alles war ganz und gar real.
    »Hier werden keine Geschichten mehr erzählt und sich wie ein kleiner Junge aufgeführt«, sagte ich zu Rob. »Du hast dich in eine Sache hineinziehen lassen, die eine Nummer zu groß für dich ist. Das ist fast jedem schon mal passiert. Aber du machst es nicht besser, indem du lügst.«
    Seine Augen waren feucht, aber er versuchte, stark und unbeeindruckt auszusehen.
    »Also gut«, sagte ich, »es ist an der Zeit, sich wie ein Mann zu benehmen und der Lügerei ein Ende zu machen. Denn das Leben geht weiter.«
    Er fing zu weinen an. Ich ließ ihn.
    »Ich weiß, dass du Pauls Wandre hast«, sagte ich. »Nun, da ich Bescheid weiß, wird es mir ein Leichtes sein, sie zu finden. Ich habe dein Telefon abhören lassen.« Das stimmte nicht. »Wenn du diese Wohnung verlässt, wirst du vierundzwanzig Stunden am Tag observiert.« Auch das stimmte nicht. »Du wirst auf gar keinen Fall damit durchkommen. Nie im Leben. Es ist vorbei.«
    Er sah überallhin, nur nicht in mein Gesicht. Tränen kullerten ihm über die Wangen, und seine Nase lief. Nun war er kein großer, böser Punk mehr. Sahen alle Männer unter der harten Schale so aus? Und die Frauen? Beteuerte heutzutage noch irgendwer auf dem Weg zum Elektrischen Stuhl seine Unschuld, scherzte noch irgendjemand mit dem Henker? Oder fühlten wir uns alle so dauerschuldig, dass wir nach unserem ersten Verbrechen geradezu selig waren, unser Leben voller Sünden beichten zu dürfen?
    »Erzähl es mir«, sagte ich. »Und glaub mir, ich bin die Richtige dafür. Du denkst, ich wäre kein besonders netter Mensch, und da

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