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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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öffneten, regte sich zunächst nichts. Wir standen am geöffneten Gatter, das die Tiere beäugten und beschnupperten. Aber keins lief davon.
    Nur der kleine, schwarze Kerl. Er lief halb hindurch und sah mich an. Er ging noch einen Schritt weiter und sah mich noch einmal an.
    »Gern geschehen«, sagte ich. »Aber du weißt, dass es da draußen rauh zugeht? Keiner wird dich füttern und striegeln. Du wirst ganz auf dich gestellt sein. Wenn du den anderen Tieren erzählst, woher du kommst, werden sie dir kein Wort glauben. Sie werden dich für einen Spinner halten. Das ist dir klar, oder?«
    Delia ging in die Hocke und sah ihm in die Augen.
    »Er weiß es«, sagte sie, »aber er sehnt sich nach dem echten Leben.«
    Und dann rannte er los. Er galoppierte davon wie ein ausgewachsener Hengst. Wir schlossen das Gatter und verschwanden.
    Und so endete der Fall der Miniaturpferde.
     
    Am Abend fuhr ich mit meinem Mietwagen nach Oakland und saß mit dem Roten Detektiv am Lagerfeuer.
    »Fall gelöst?«, fragte er.
    »Irgendwie schon«, sagte ich. »Sie war’s. Die Frau im Wohnzimmer mit dem Revolver.«
    »Wie fühlst du dich?«
    »So, als wäre es noch nicht zu Ende«, sagte ich. »Als hätte ich noch einen Fall zu lösen.«
    »Den Fall des vermissten Mädchens?«
    »Vielleicht«, sagte ich.
    »Ich hab’s doch gesagt«, sagte er, und zum ersten Mal sah ich ihn lächeln, auch wenn er angestrengt versuchte, es vor mir zu verbergen.
    »Was bleibt, wenn das Rätsel gelöst ist? Ein Nichts, ein Vakuum, ein Loch?«, schrieb Silette. »Bleiben manche Rätsel möglicherweise besser ungelöst, sind wir manchmal mit nichts besser bedient als mit etwas?«
     
    Am nächsten Tag machte ich mich auf, meinen Fall zu lösen. Den Fall des vermissten Mädchens.
    Ich traf Lydia in einem hässlichen, kahlen Verhörraum an. Sie trug den orangefarbigen Overall und Handschellen, schmutzig und gedemütigt, so wie es sich gehörte. Wären wir uns woanders begegnet, ich hätte sie mit meinen bloßen Händen erwürgt.
    Als ich eintrat, weinte sie schon.
     
    Ich hatte immer erzählt, ich wäre für den Fall der Silberperle nach Peru gereist und hätte Paul aus den Augen verloren, aber das stimmte nicht. In Wahrheit hatte er mich gebeten, ihn anzurufen.
    »Nie rufst du mich an«, sagte er. »Und immer verschwindest du einfach so.«
    Es war kein Vorwurf, sondern eine Feststellung. Wir telefonierten. Es war spät am Abend. Nur so kam es zu echten Gesprächen, spätabends am Telefon.
    Er hatte recht. Ich rief ihn nie an, und außerdem verschwand ich sehr oft einfach so, mitten in der Nacht nach dem Sex oder am nächsten Morgen oder ganz plötzlich, wenn wir zusammen waren, beim Essen oder im Kino oder beim Spaziergang.
    Immer kam mir ein Fall dazwischen. Dabei stimmte es nie. Ich musste weg, weil wir uns mit jedem Gespräch näherkamen. Weil es jedes Mal zu einer weiteren Enthüllung kam.
Oh, ich auch,
und:
Die mag ich auch am liebsten,
und:
Ich weiß genau, was du sagen willst,
und:
Ich kann es nicht fassen, du auch?,
und zuletzt das unausgesprochene, omnipräsente:
Wie kommt es, dass ich dich nicht schon ewig kenne. Wie konnte ich ohne dich sein, nun, da du mir fast alles bedeutest?
Als wäre es immer schon so gewesen.
    »Ich werde dich anrufen«, sagte ich. »Weißt du, es fällt mir nicht leicht. Aber ich werde dich anrufen.«
    »Weil, ehrlich gesagt«, sagte er ohne Vorwurf, ohne Wut in der Stimme, »halte ich das nicht ewig durch. Es ist nicht gerecht.«
    Auch ihn hatte das Leben verletzt und vernarbt. Wen nicht? Ich besaß kein Monopol auf das Leid, das wusste ich selbst.
    »Ich weiß«, sagte ich, »es tut mir leid. Es tut mir so leid. Es ist nur …«
    »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte er, und ich meinte, ihn lächeln zu hören. »Ruf mich einfach hin und wieder an, okay?«
    Ich versprach es. Und ein paar Tage später nahm ich den Flug nach Peru, ohne es ihm zu sagen und ohne ihn je wieder anzurufen.
    Unter keinen Umständen, nie im Leben wäre ich in der Lage gewesen, Paul zu sagen, was ich für ihn empfand. Dass ich ihn liebte.
    Nach meiner Rückkehr hatten wir für längere Zeit keinen Kontakt. Ich erfuhr, dass er eine neue Freundin hatte, und ich tat so, als mache es mir nichts aus. Alle kauften es mir ab. Ich nahm den Fall eines vermissten Mädchens an, und wie sich herausstellte, war es in der Bucht von San Francisco ertrunken. Ich aß und schlief nicht mehr und landete im Chinesischen Krankenhaus, wo Nick Chang mich

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