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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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Stolz damit zu tun hatten, Pferde zu schrumpfen, wollte sich mir nicht erschließen. Als wir uns der Scheune näherten, kam ein kleiner Rappe mit glänzendem Fell auf mich zu. Ich kniete nieder, und wir betrachteten einander. Er sah klug und traurig aus.
    »Ich kann Sie verstehen«, sagte ich zu Ellwood, »aber was ich Ihnen in Rechnung stellen würde, übertrifft Ihre Verluste bei weitem.«
    »Geld spielt keine Rolle«, sagte Ellwood James.
    Magische Worte.
    Ich übernahm den Fall.
     
    Von Ellwood James’ Ranch nahm ich den Highway 101 und fuhr ins nördlich gelegene Sonoma County. Ich verließ die Schnellstraße in Santa Rosa und fuhr zum Ort der Wunder. Der Ort der Wunder ist eine Stelle, an der ein Haus auf rätselhafte Weise einen rätselhaften Abhang hinuntergerutscht ist und nun, betrachtet man es aus dem richtigen Blickwinkel, alle physikalischen Gesetze auf den Kopf stellt. Weitere Höhepunkte sind der Andenkenladen, ein Streichelzoo mit schreckstarren Ziegen, zwei heiße Quellen und einige extrem hohe Mammutbäume mit Namen wie Old Buddy und Faithful Susan.
    Jake, der Betreiber des Orts der Wunder, war ein pensionierter Polizist aus San Francisco. In den Blockhütten hinter dem Haupthaus unterhielt er eine Art Rehaklinik für Detektive und Polizisten, für Männer und Frauen, die zeitweise die Orientierung verloren hatten. Ich erzählte ihm, dass ich Wachleute suche, und er versprach mir, sich darum zu kümmern. Ich vertraute auf seine Fähigkeiten. Ich erläuterte ihm meinen Plan und gab ihm genug Bares, um zwei Objektschützer zu bezahlen. Mein Assistent Claude würde sich einmal täglich bei Jake melden und sich den Stand der Dinge durchgeben lassen. Dann ging ich den Ziegen guten Tag sagen, die ich ein paar Jahre zuvor zeitweise betreut hatte. Ich fragte mich, ob sie mich wiedererkannten. Vermutlich nicht. Ich redete mir ein, es wäre mir egal.
    Das war der Fall der Miniaturpferde.

[home]
    16
    A m dreißigsten Tag nach Pauls Tod informierte die Polizei mich über die Projektile. Es gab keine Übereinstimmungen. Die Waffe war entweder neu oder nicht in der nationalen Datenbank erfasst. Seit Pauls Tod hatte ich das Haus mehrfach aufgesucht und absolut nichts von Interesse gefunden. Die Ermittler und ich hatten versucht, Fingerabdrücke zu nehmen, was uns aber kein Stück weiterbrachte – Paul und Lydia hatten viel Besuch gehabt, zudem war das Haus alles andere als klein. Wir waren auf Hunderte von Teilabdrücken gestoßen und auf einige wenige Komplettabdrücke, die aber keine Übereinstimmungen mit bekannten Straftätern erbrachten. Die gestohlenen Instrumente, die ich für unseren entscheidenden Trumpf gehalten hatte, waren nicht wieder aufgetaucht. Ich hatte mir von Lydia eine vage Liste der entwendeten Gegenstände geben lassen und alle Pfandleihhäuser und Instrumentenhändler in der Umgebung informiert. Wie die meisten seiner Kollegen hatte Paul ständig Gitarren ge- und verkauft, so dass kaum zu ermitteln war, was eigentlich fehlte. Der Fall war von den Medien aufgegriffen worden und hatte Schlagzeilen gemacht; wahrscheinlich würde der Dieb – der gleichzeitig auch der Mörder war – abwarten, bis die Lage sich beruhigt hatte.
    Ich fuhr noch einmal zu Pauls Haus. Ich sprach mit den Nachbarn. Es gab keine Augenzeugen. Niemand hatte etwas gehört, außer der Nachbar, der die Polizei gerufen hatte.
    Er hieß Freddie. Freddie war weiß, zwischen fünfzig und einer Million Jahre alt und ganz offensichtlich das unglücklichste Wesen auf dem Planeten. Es schien, als habe er sein Leben dem Elend gewidmet.
    Er trug einen ausgebeulten Morgenmantel über Pyjamahosen und T-Shirt, dazu Kunstlederschlappen, die schon bessere Zeiten gesehen hatten. Obwohl ich dazusagen muss, dass selbst die nicht besonders gut gewesen sein konnten. Wir standen auf den Stufen vor seinem Haus. Der Tag war kalt und neblig. In San Francisco lebte man in einem dauerhaften Belagerungszustand; ich kannte Leute, die sich dem Nebel nach jahrelangem, erfolgreichem Widerstand eines Tages doch geschlagen gaben und in den Süden oder an die Ostküste zogen.
    »Bei dem Lärm«, sagte Freddie. »Ich meine, erst die Mexikaner und dann diese Raver oder Hipster oder wie die sich nennen. Und die Musiker! Heutzutage ist ja jeder gleich ein Musiker.«
    Menschen wie er, die mürrischen, mittelalten Weißen dieser Welt, waren nicht gerade für ihre stille, rücksichtsvolle Lebensweise bekannt; dennoch widersprach ich nicht. Genauso wenig wies

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