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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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mal, okay?«
    Er klang, als rede er mit einem Geldeintreiber. Ich rief noch einmal bei Andray an. Die Mailbox sprang an.
    »Hey«, sagte ich, »hier spricht Claire. Ich habe eben mit Mick telefoniert, und er klingt gar nicht gut. Ich dachte mir, vielleicht gehst du mal bei ihm vorbei? Und siehst nach, ob alles okay ist? Ich glaube, er wurde zu früh aus dem Krankenhaus entlassen, und ich finde, na ja, du verstehst schon. Ich weiß nicht, ob er außer Gefahr ist.«
    Weder Andray noch Mick riefen zurück.
     
    Ich stornierte das Ticket und flog nicht nach New Orleans. Stattdessen schnupfte ich das restliche Kokain und räumte meine Wohnung auf, was im Grunde nur bedeutete, Stapel ungeöffneter Post und unbezahlter Rechnungen von einem Tisch zum anderen zu tragen. Ich deponierte alle unsortierten Unterlagen in der Nähe des Aktenschranks und legte alle Zettel mit wichtigen Notizen (»Nate HAT KEINE LIMONADE GETRUNKEN «, »Fingerabdrücke stimmen nicht überein, 1952 – 58 «, »Sylvia DeVille, geb. 2 .  12 .  71 , nicht im System, Abtreibung unwahrscheinlich«) auf einen Haufen auf dem Küchentisch. Ich stellte das benutzte Geschirr in die Spüle. Als die Wohnung aufgeräumt war, fühlte sie sich leer und einsam an, wie eine Gruft ohne Ausgang. Ich zog mich hastig an und ging nach draußen. Es war nach Mitternacht. Ich ging in eine Bar in North Beach und bestellte ein Bier und dann einen Scotch und dann noch ein Bier, und als ein Mann, den ich noch nie gesehen hatte, mich zu einem weiteren einladen wollte, sagte ich ja. Er wollte wissen, was ich beruflich mache.
    »Ich bin Privatdetektivin«, sagte ich.
    »Klar«, sagte er mit wissendem Lächeln, »und ich bin ein Cowboy.«

[home]
    15
    U nd dann war da noch der Fall der verschwundenen Miniaturpferde. Ich nahm den Auftrag fünfundzwanzig Tage nach Pauls Tod an. Ein Mann namens Ellwood James besaß eine Ranch in der Nähe von Point Reyes im Marin County nördlich von San Francisco. Ellwood James züchtete Miniaturpferde und war mit dem Oberstaatsanwalt von San Francisco verschwägert. Es war verblüffend zu sehen, wie klein die Miniaturpferde tatsächlich waren. Das größte war einen guten Meter hoch, wenn es aufrecht stand. Die Pferde sahen ein bisschen traurig aus, so als schämten sie sich für ihre Kleinwüchsigkeit. Sie erinnerten mich an die Kinder in dem Film
Blumen der Nacht,
die nicht mehr wuchsen, weil man sie jahrelang auf dem Dachboden eingesperrt hatte.
    Ellwood James war überzeugt, dass jemand seine Pferde stahl.
    »Angefangen habe ich mit hundertfünfzig«, sagte er und klang dabei wie ein echter Rancher, der über Vieh spricht. »Geburten, Todesfälle, was alles so passiert. Und sechs Monate später sind es nur noch neunundneunzig. Jemand stiehlt meine Pferde.«
    Meiner Theorie zufolge entwischten die Kerlchen, um sich da draußen ein paar Wachstumsgene einzufangen oder um ungestört Selbstmord zu begehen. Ich machte mir in Gedanken eine Notiz:
Pferdeselbstmord recherchieren.
    Ellwood zeigte mir die Ranch. Das Grundstück war denkbar schlecht gesichert. Ich erklärte ihm, dass er, um Diebe abzuschrecken, in höhere Zäune, Flutlichter und Stacheldraht investieren müsse. Falls er jedoch herausfinden wolle, wer ihm die Tierchen gestohlen hatte, solle er alles beim Alten belassen und eine Videoüberwachung installieren.
    Ellwood züchtete auch Pfaue.
    Er legte den Kopf in den Nacken. Ich folgte seinem Blick und sah einen Ring aus Geiern, die am Himmel kreisten.
    »Verdammt«, sagte er. Wir folgten den Geiern und überquerten das Weideland, auf dem Pferdchen in allen Farben grasten und herumtollten. Im grünen Gras wuchsen Löwenzahn und kleine lila Blumen, deren Namen ich nicht kannte. Der Himmel war so blau, dass es mir fast in den Augen weh tat.
    Als wir etwa dreißig Meter zurückgelegt hatten, entdeckten wir, worauf die Geier so scharf waren. Im Gras lag ein toter Pfau. Vielleicht eine Pfauhenne.
    »Verdammt«, wiederholte Ellwood, »angeblich werden die blöden Viecher über zwanzig Jahre alt!«
    »Vielleicht war er zwanzig?«, schlug ich vor.
    Ellwood nickte. Eines war klar, keiner von uns beiden kannte sich mit der Altersbestimmung von Pfauen aus.
    Ein Geier kam im Sturzflug herunter und landete nur wenige Meter neben uns.
    »Soll er doch«, sagte Ellwood, und wir machten kehrt.
    »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen helfen kann«, sagte ich.
    »Ich will wissen, wer dahintersteckt«, sagte Ellwood. »Ich habe meine Ehre. Meinen Stolz.«
    Was Ehre und

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