Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
Common Equity oder TCE) bezeichnet wird. Bei der Berechnung des TCE werden ausschließlich Stammaktien berücksichtigt. Kernkapital
im Basler Sinn beinhaltet dagegen Stamm- und Vorzugsaktien. TCE ist daher eine konservativere Schätzung des Kapitals, das
einer Bank zur Verfügung steht, und könnte in einer Krise eine realistischere Methode zur Einschätzung der Gesundheit einer
Bank bieten.
Doch die Struktur von Basel II birgt ein grundlegenderes Problem. Die zur Berechnung des Kapitals eingesetzten Methoden führten
dazu, dass die Kapitalausstattung im Aufschwung zu hoch angesetzt wurde und im Abschwung zu niedrig. Daher versuchten Banken
mit Beginn der Krise, ihr Risiko auf übertriebene und schädliche Weise zu senken. Das lag daran, dass die Preise der von den
Banken gehaltenen Anlagen während des Booms stiegen, was wiederum zu einer Reduzierung des Kapitalbedarfs führte |277| und die Banken dazu animierte, größere Risiken einzugehen. In der Krise kehrte sich dieser Prozess um. Die Preise gaben nach,
und plötzlich brauchten die Banken mehr Kapital – exakt zu dem Zeitpunkt, an dem es am schwersten zu bekommen war.
In der Wirtschaftswissenschaft nennt man das »Prozyklikalität«. Dieser sperrige Terminus beschreibt einen einfachen Selbstverstärkungseffekt,
zum Beispiel einen Boom-und-Bust-Zyklus. Im Falle des Kapitals ist das ganz offensichtlich ein Problem, denn wenn überhaupt,
sollte ja das Gegenteil erreicht und die Banken vor Konjunkturschwankungen geschützt werden. Einen Ausweg bietet eine alternative
Berechnungsmethode für das Kapital, die »dynamische Risikovorsorge«. 21 Statt die Banken zu zwingen, jederzeit Kapital in einer festen Höhe bereitzuhalten – wie die vom Basler Akkord festgelegten
8 Prozent –, wäre ein dynamisches System flexibel. In Boomjahren würden die Kapitalanforderungen steigen, in schlechten Zeiten
sinken. Eine solche Methode wurde von spanischen Banken bereits eingesetzt. Sie schafft zwar nicht alle Probleme aus der Welt,
doch ihre flächendeckende Einführung im Rahmen eines neuen Basler Systems wäre einen Versuch wert.
Eine weitere Möglichkeit, das Problem der Prozyklikalität zu lösen, ist das Konzept des bedingten Kapitals. 22 Diese Idee, die immer mehr Anhänger gewinnt, ist bei all ihren Schwächen ebenfalls eine Diskussion wert. Das Ganze funktioniert
folgendermaßen: In guten Zeiten gibt die Bank neuartige Wandelanleihen heraus, die sogenannten Contingent Convertible Bonds
oder Cocos. Diese Schuldtitel unterscheiden sich insofern von herkömmlichen Titeln, als dass sie in Aktien oder Eigenkapital
der Bank umgewandelt werden, wenn die Bilanzsumme der Bank unter einen bestimmten Punkt sinkt.
Das hat gleich mehrere Vorteile. Erstens verfügt die Bank im Bedarfsfall über mehr Kapital und kann so im Geschäft bleiben.
Sie überlebt, wenn auch zu einem gewissen Preis: Die vormaligen Anleiheinhaber verlieren ihr Geld und sind nun in beträchtlicher
Höhe an einer notleidenden Bank beteiligt. Dieser plötzliche Zustrom |278| an neuen Aktionären reduziert den Einfluss der ursprünglichen Aktionäre.
Das ist weder im Interesse der ursprünglichen Anleiheinhaber noch der Aktionäre, weshalb beide Gruppen einen Anreiz haben,
der Bank genauer auf die Finger zu schauen und dafür zu sorgen, dass es gar nicht erst so weit kommt. Theoretisch werden die
Anleiheinhaber durch höhere Kreditkosten für Marktdisziplin sorgen, wenn sie glauben, dass die Bank auf dem falschen Weg ist.
Ebenso werden die Aktionäre riskante Geschäfte eindämmen, die die Bank in die Krise bringen könnten.
Dieses Konzept funktioniert auf dem Papier womöglich besser als in der Praxis. Damit es greift, müssten die Banken zunächst
genügend Cocos ausgeben. Andernfalls wäre die angestrebte Selbstdisziplin genauso unzureichend wie das Kapital, das bereitgestellt
werden soll. Trotzdem ist es einer der besseren derzeit diskutierten Vorschläge und könnte eine der größten Schwachstellen
von Basel II beheben. Wenn schon Regulierungsbehörden, Aktionäre und Manager risikofreudiges Verhalten nicht unterbinden konnten,
so der Grundgedanke, dann könnte man stattdessen vielleicht die Gläubiger der Bank dazu bringen. Der Hintergedanke war, dass
die Käufer der Bankanleihen für »Marktdisziplin« sorgen würden, indem sie die Kreditkosten für allzu risikofreudige Banken
in die Höhe trieben.
Mit der Krise offenbarte sich leider zweierlei:
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