Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
beispielsweise an, zwei hypothetische Banken investieren jeweils eine Milliarde US-Dollar, die sie sich woanders
leihen. Eine legt sie in sichere amerikanische Staatsanleihen an, die andere in hochriskante, minderwertige Unternehmensanleihen.
Nach den Basel-I-Richtlinien würden die beiden Banken diesen unterschiedlichen Aktiva verschiedene Risikofaktoren zuordnen.
Danach würde sich wiederum richten, wie viel Eigenkapital sie im Verhältnis zu diesen Risiken halten müssten. In der Praxis
bedeutete das, dass die Eigenkapitalausstattung der Bank mit den sicheren Staatsanleihen niedriger ausfallen konnte als die
der Bank mit den spekulativen Papieren.
Basel I enthielt auch noch ein paar andere Forderungen. Banken, die in verschiedenen Ländern tätig waren, mussten Kapital
in Höhe von 8 Prozent ihrer risikogewichteten Anlagen halten. Zusätzlich legten die Richtlinien fest, welche Form dieses Eigenkapital
haben durfte: Stammaktien, Vorzugsaktien und andere hochwertige Kapitalinstrumente (Tier-I- oder Kernkapital) und dann alles
Übrige (Tier-II- oder Ergänzungskapital).
Der erste Akkord trat in den achtziger Jahren in Kraft, und bis zum Jahr 1992 hatten die meisten G10-Staaten die Empfehlungen |275| angenommen. Auch viele Schwellenländer hielten sich freiwillig an diese Vorgaben. Das galt als Beleg für Finanzstabilität
und Umsicht, sollte sich aber leider für die Schwellenländer als ausgesprochen nachteilig erweisen: Wie sich zeigte, waren
die auf fortschrittliche industrialisierte Volkswirtschaften zugeschnittenen Standards für Schwellenländer kaum einzuhalten,
schon gar nicht in Krisenzeiten.
Aber es gab noch andere Belastungen: Die Banker hatten Möglichkeiten gefunden, gewisse Risiken zu verstecken, die Basel I
nicht vorhergesehen hatte – etwa durch die Verbriefung von Vermögenswerten. Solche Taschenspielertricks gaben Bankbilanzen
den Anschein einer Stabilität, die sie in Wirklichkeit nicht hatten. Die Banker hielten sich zwar an die Buchstaben der Richtlinien,
aber nicht an ihren Geist.
Diese Mängel führten zu Basel II. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der nur 37 Seiten umfasste, war der neue Akkord fast zehnmal
so umfangreich. Er enthielt weitaus genauere technische Richtlinien zur Gewichtung der relativen Risiken unterschiedlicher
Aktiva, machte Vorschläge zur Rechnungsmethodik, erweiterte die Risikodefinition auf Gefahren wie die Wahrscheinlichkeit eines
Wertverlustes der Aktiva auf dem offenen Markt, verschloss Schlupflöcher für versteckte Risiken, drängte die Regulierungsbehörden,
die Einhaltung der Eigenkapitalanforderungen strenger zu überwachen, und formulierte Bedingungen, unter denen Banken ihre
Finanzlage öffentlich machen sollten. Obwohl viele europäische Nationen Basel II auf alle Banken anwenden wollten, setzten
die Vereinigten Staaten, Kanada und Großbritannien durch, dass die Vereinbarungen nur für große internationale Banken gelten
sollten.
Im Jahr 2006 arbeiteten die G10-Staaten die Schlussfassung von Basel II aus und betrauten die einzelnen Staaten mit deren
Umsetzung – ein Prozess, der noch im Gange war, als die Krise einsetzte. Prompt wurde klar, dass Basel II trotz aller Präzision
schwerwiegende Mängel aufwies. Obwohl viele Korrekturen eine Reaktion |276| auf die Krisen in den neunziger Jahren waren, schützte Basel II die Großbanken nicht vor den Störungen, die mit einer bedeutenden
Finanzkrise einhergehen. Vereinfacht gesagt hielt Basel II das globale Finanzsystem für stabiler, als es in Wirklichkeit war
– ein fataler Fehler.
Die Krise brachte mehrere Realitäten schmerzlich zu Bewusstsein. Erstens benötigten die Banken mehr und besseres Kapital.
Zweitens reichte der »Kapitalpuffer«, den viele Banken eingerichtet hatten, nicht annähernd aus, um sie gegen Schocks zu schützen,
wie sie das Platzen der Immobilienblase und die Kreditkrise auslösten. Drittens konnte sich die Qualität des als Kern- und
Ergänzungskapital definierten Kapitals (Tier I bzw. Tier II) in Krisenzeiten erheblich verschlechtern.
Eine Reform von Basel II wird Jahre in Anspruch nehmen, doch einige Punkte drängen sich förmlich auf. Zunächst sollte die
Definition und Bewertung des Bankkapitals verändert werden. Statt sich auf die Tier-I-Definition zu verlassen, wäre zu überlegen,
ob Bankkapital nicht nach einem enger gefassten Maßstab berechnet werden sollte, der auch als materielles Eigenkapital (Tangible
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