Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
Erstens gab es nicht genügend nachrangige Schuldtitel, um die Marktdisziplin
spürbar zu verbessern. Und selbst wenn es sie gegeben hätte, traten zweitens die Regierungen in aller Welt die Marktdisziplin
mit Füßen, als sie Bürgschaften für alle Schuldtitel übernahmen und den Banken die weitere Kreditaufnahme erleichterten. Dieses
Problem kann vielleicht durch das Konzept des bedingten Kapitals umgangen werden. Es stellt sicher, dass Schuldtitel in Eigenkapital
umgewandelt werden, statt sie zu garantieren. Das könnte vielleicht zu einer Verringerung des verantwortungslosen Risikoverhaltens
beitragen.
|279| Ein weiteres Problem, das die Basler Weisen bedenken müssen, ist die Gefahr, die mit einer Liquiditätsknappheit einhergeht.
Wie sich in der jüngsten Krise vielfach zeigte, sind viele traditionelle und Schattenbanken extrem anfällig für eine Liquiditätsklemme.
In der Vergangenheit hat der Basler Ausschuss diesem Problem wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Das muss sich ändern. Wie wir
in den vorangegangenen Kapiteln festgestellt haben, war das jüngste Desaster eine Bankenkrise im großen Stil. Finanzunternehmen
jeder Couleur liehen sich kurzfristig liquide Mittel und investierten diese in langfristige nicht liquide Anlagen. Als die
Panik einsetzte, konnten sie ihre kurzfristigen Darlehen nicht verlängern. Ihnen ging das Geld aus.
Daher sollte die künftige Regulierung des Finanzsystems einen Schwerpunkt auf das Management von Liquiditätsrisiken legen.
Das ließe sich zum Beispiel über Auflagen erreichen, die kurzfristige Kreditaufnahmen verringern. Das heißt, Banken sollten
die Laufzeiten ihrer Verbindlichkeiten deutlich verlängern. Eine Bank, die ihre Kredite einmal im Jahr verlängern muss, bekommt
nicht so schnell Liquiditätsprobleme wie ein Institut mit täglicher Prolongation. Auch damit sind nicht alle Probleme aus
der Welt. Wie die jüngste Krise gezeigt hat, können auch Geldinstitute wie Geldmarktfonds, die fast ausschließlich mit liquiden
Anlagen handeln, in Schwierigkeiten geraten, wenn sie nur einen kleinen Teil ihres Geldes in weniger liquide Instrumente investieren.
Ein weiterer Schwachpunkt der bestehenden Basler Ordnung ist, dass sie den Finanzunternehmen zu viel Ermessensspielraum gewährt,
etwa durch den Einsatz eigener Modelle zur Risikobewertung. Dazu gehören das Value-at-Risk-Modell oder VaR – eine mathematische
Formel, mit der die Verlustwahrscheinlichkeit bestimmter Anlagen ermittelt werden soll – oder statistische Werkzeuge wie die
Gauß-Copula, die zur Bepreisung esoterischer Anlagen wie CDO herangezogen wird. Keines der beiden Modelle berücksichtigt die
Möglichkeit einer Krise oder einer sonstigen Störung, weshalb die Banken beim Eintreten der Krise schlecht gerüstet |280| waren. Leider besteht die Lösung nicht einfach in einer besseren mathematischen Formel. Modelle sind immer nur so gut wie
die Menschen, die sie einsetzen. Und wenn der Anreiz gegeben ist, Risiken zu ignorieren, um kurzfristige Erträge zu erzielen,
dann lässt sich jede Formel so manipulieren, dass sie die erwünschte Antwort ausspuckt.
Das heißt, wir müssen uns andere Möglichkeiten zur Minimierung des Risikos einfallen lassen. Dazu sollten wir als Erstes überdenken,
wie das Risikomanagement in Finanzunternehmen gehandhabt wird. Derzeit herrscht der »Silo«-Ansatz vor: Jeder Geschäftsbereich
ermittelt seine Risiken isoliert, ohne jede Rücksicht darauf, wie die eigenen Geschäfte mit denen anderer Bereiche zusammenspielen.
Das klassische Beispiel war AIG. Eine kleine Londoner Niederlassung mit nur 375 Mitarbeitern brachte es fertig, so viele toxische
CDOs zu versichern, dass ein Unternehmen mit über 100 000 Angestellten ins Wanken geriet.
Nicht minder bedenklich ist die Marginalisierung vieler Risikomanager. Immerhin stehen sie größeren Gewinnen im Wege. Das
macht es ihnen schwerer, die Händler, mit denen sie zusammenarbeiten, effektiv zu kontrollieren. Aus diesem Grund sollte sich
das Risikomanagement künftig vom »Silo«-Modell verabschieden und sich stattdessen darum bemühen, die organisationsweiten Risiken
aus der Vogelperspektive zu erfassen. Dazu ist ein leitender Risikomanager mit größeren Kompetenzen erforderlich, der dem
CEO und dem Verwaltungsrat direkt unterstellt ist. Ebenso nötig ist ein Risikomanagementteam, das die Aktivitäten in den vielen
verschiedenen Bereichen einer Bank überwacht und, noch
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