Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
Regulierungsbehörden umgesetzt werden. Doch sämtliche Behörden
und die nationalen Gesetzgeber dazu zu bringen, einen Teil ihrer Souveränität einer einzigen, internationalen Finanzaufsicht
zu übertragen, ist eine ganz andere Sache. Bescheidenere Varianten dieses Konzepts sind bereits im Sande verlaufen. Selbst
Versuche, die Europäische Zentralbank zur übergeordneten Regulierungsbehörde für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union
zu machen, sind nie richtig in Gang gekommen. Bislang jedenfalls liegt die Zuständigkeit für die Regulierung europäischer
Banken nach wie vor bei den Zentralbanken der Einzelstaaten.
Selbst wenn die führenden Industrienationen sich auf die Einrichtung einer globalen Superbehörde verständigen könnten, wäre
das vermutlich keine so grandiose Idee. Das in den Vereinigten Staaten bestehende System mit seinen zahlreichen Regulierungsstellen
ist zwar nicht ideal, doch das andere Extrem ist ebenfalls nicht ohne Risiken. Es wäre gefährlich, alles auf ein Pferd zu
setzen, zumal niemand weiß, ob die internationalen Regulierer die anstehende Aufgabe wirklich bewältigen könnten.
|293| Das wirft ein letztes Problem auf: Auch die beste, schlüssigste und umfassendste Regulierung muss scheitern, wenn sie nicht
richtig durchgesetzt wird. Die Regulierung ist immer nur so gut wie die Behörden, die sie umsetzen. Was bedeutet das im Klartext?
Wer kontrolliert die Kontrolleure?
Eine alte lateinische Redensart beschreibt ein modernes Dilemma sehr treffend: »Quis custodiet ipsos custodes?« 9 , frei übersetzt: Wer kontrolliert die Kontrolleure? Wer stellt sicher, dass diejenigen, die unsere Gesellschaft überwachen,
ihren Pflichten effektiv und uneigennützig nachkommen?
Das Problem ist nicht neu. Platon hat dieses Dilemma in seinem Dialog
Der Staat
dargelegt, wenn er auch nicht die Finanzaufsicht meinte, sondern die Hüter einer Gesellschaft ganz allgemein (Derivate waren
damals noch kein Thema). Platons Lösung war faszinierend: Man solle Wächtern und Allgemeinheit eine »edle Lüge« vorsetzen
und ihnen erklären, die Wächter seien tugendhafter als andere Menschen. Von ihrer Anständigkeit überzeugt, würden sie den
eigenen Vorteil verschmähen und das Wohl des Staates im Auge behalten. Diese Illusion der Tugend hätte ihren eigenen Lohn. 10
Diese Vorstellung wird heute gern belächelt, unterstreicht jedoch eine beunruhigende Wahrheit. Bedenken Sie, was passiert,
wenn man den Wächtern oder Regulierern diese Illusion nimmt und ihnen erzählt, sie seien inkompetent und korrupt. Das ist
ebenfalls eine Lüge, und zwar eine in unserer Zeit sehr verbreitete. Bis vor kurzem mussten sich die Mitarbeiter der Finanzbehörden
noch erzählen lassen, wie dumm sie doch seien, weil sie nicht in die Privatwirtschaft wechselten. Dass sie Pappnasen seien,
die mit den Finanzgenies der Wall Street nicht mithalten könnten. Schlimmer noch: Man sagte ihnen, dass sie für die schöne
neue Welt der Finanzinnovation hinderlich und lästig seien.
|294| Dieser Lüge, die von fanatischen Verfechtern des Laissez-faire-Kapitalismus verbreitet wird, muss widersprochen werden. Infrage
gestellt wurde sie ja bereits, und zwar in den 1930er Jahren, als die neu gegründete amerikanische Börsenaufsicht und andere
Regulierungsbehörden viele kluge und fähige Idealisten anlockten, die zu anderen Zeiten vielleicht an der Wall Street gelandet
wären. Stattdessen beaufsichtigten sie diese nun, und es war kein Zufall, dass in den folgenden Jahrzehnten das Finanzsystem
so stabil war wie nie zuvor und die Wirtschaft solide wuchs.
Das könnte wieder so sein. Voraussetzung wäre aber, dass Regulierer und Regulierung ein neues Image bekommen. Das ist keine
leichte Aufgabe, könnte jedoch bei der Art und Weise beginnen, wie die Regierung das erforderliche Personal rekrutiert. Die
Aufseher haben die Macht und die Pflicht, eine weitere Finanzkrise zu verhindern. Das ist eine enorme Verantwortung, die sich
in der Stellenbeschreibung niederschlagen und den Bewerbern entsprechend schmackhaft gemacht werden sollte. Und wenn es sich
dabei um eine »edle Lüge« handelt? Dann ist es eben so. Wenn sich an der Wahrnehmung der Regulierung nichts ändert, wird es
schwer werden, qualifizierte Kandidaten für solche Positionen zu finden.
Regulierer haben außerdem Anspruch auf eine bessere Bezahlung. Hier sind wir anderer Meinung als Platon, aber wir sind ja
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