Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
gegenüber staatlicher Einmischung geht Hand in Hand mit einem weiteren typischen Merkmal des österreichischen
Ansatzes: Er richtet den Blick auf den individuellen Unternehmer als Größe der wirtschaftlichen Analyse. Joseph Schumpeter
kann zwar kaum als Vertreter der libertären Denkschule bezeichnet werden, doch er entwickelte eine wichtige Theorie des Unternehmertums,
die oft in einem einzigen Wortpaar zusammengefasst |82| wird: die kreative Zerstörung. Nach Schumpeters Ansicht besteht der Kapitalismus aus Wellen der Innovation in Zeiten des Aufschwungs,
auf die eine brutale Auslese in Zeiten des Abschwungs folgt. Diese Abrechnung lässt sich weder verhindern noch abschwächen:
Es handelt sich um eine schmerzhafte, aber wichtige Korrektur, deren Überlebende eine neue Wirtschaftsordnung errichten. 34
Für Vertreter dieser Theorie demonstrieren Phasen wie die Weltwirtschaftskrise nicht etwa die Gefahr der Passivität angesichts
der Krise, sondern im Gegenteil die Gefahr der Überaktivität. Nach Ansicht mancher Österreicher zog der amerikanische Präsident
Roosevelt die Weltwirtschaftskrise mit seinen Konjunkturmaßnahmen nur unnötig in die Länge. 35 Die Österreicher kritisieren auch Roosevelts Amtsvorgänger Herbert Hoover und behaupten, er habe sich dem notwendigen aber
schmerzhaften Prozess der kreativen Zerstörung in den Weg gestellt, indem er die Reconstruction Finance Corporation ins Leben
gerufen habe, eine Regierungsbehörde, die Kredite an Banken und staatliche Einrichtungen mit Zahlungsschwierigkeiten vergab.
Dies ist alles andere als eine akademische Debatte über längst vergangene Zeiten. Die Wirtschaftswissenschaftler aus dem österreichischen
Lager ziehen nämlich die Vergangenheit heran, um zu belegen, dass politische Maßnahmen die Probleme nur potenzieren. Statt
zuzulassen, dass die schwachen, überschuldeten Banken, Unternehmen und Privathaushalte in einem lauten Knall der kreativen
Zerstörung untergehen – und so gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Starken überleben und sich erholen –, griffen Regierungen
in aller Welt in den Markt ein und würden eine Wirtschaft der Untoten schaffen: Zombiebanken, die mit endlosen Krediten der
Zentralbanken künstlich am Leben erhalten werden; Zombiekonzerne wie General Motors und Chrysler, die quasi in Regierungsbesitz
übergehen, um überleben zu können; und Zombiehaushalte im ganzen Land, die durch Gesetze geschützt werden, welche ihren Gläubigern
die Hände binden und verhindern, dass diese Menschen ihre Häuser verlieren, die sie sich nie leisten konnten.
|83| Dies habe nur den Effekt, dass private Verluste der Gesellschaft aufgebürdet würden, und damit auch dem Staat, dessen Haushaltsdefizit
ein untragbares Ausmaß annehme. Die Schulden wiederum belasteten die Staatsfinanzen und verhinderten langfristiges Wachstum.
Im Extremfall könne die Schuldenlast dazu führen, dass ein Staat zahlungsunfähig wird oder die Druckerpresse anwirft, um seinen
Verbindlichkeiten nachzukommen, wodurch die Inflation rasch in gefährliche Höhen getrieben würde. Nach Ansicht der Österreicher
wäre es das Beste gewesen, zuzulassen, dass die unvermeidlichen Liquidierungen so schnell wie möglich vonstatten gingen. Wäre
Andrew Mellon noch am Leben, dann hätte er im österreichischen Lager viele Freunde.
Genauso skeptisch stehen Wirtschaftswissenschaftler dieser Denkschule dem Ruf nach Regulierung und staatlicher Aufsicht gegenüber,
der nach einer Krise so häufig laut wird. Sie sind der Ansicht, dass ein Zuviel an Regulierung die Krise überhaupt erst ermöglicht
habe, weshalb zusätzliche Regulierungsmaßnahmen nur dafür sorgten, dass künftige Krisen noch gravierender ausfielen. Das klingt
widersprüchlich – wie soll Kontrolle eine Krise herbeiführen? Die Vertreter dieses Lagers weisen darauf hin, dass Innovationen
wie Einlagensicherungen und letztinstanzliche Kreditgeber zwar einerseits die Besitzer von Sparkonten schützen. Andererseits
aber sorgten sie auch dafür, dass Banken größere Risiken eingingen. Genau wie Autofahrer mit Sicherheitsgurt in Versuchung
geraten, schneller zu fahren, gingen Banken in der Hoffnung auf größere Gewinne größere Risiken ein, weil sie sich sicher
sein konnten, dass der Staat im Falle einer Zahlungsunfähigkeit die Anleger entschädigen würde.
Dieselbe Logik kommt auch im Falle anderer staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft zum Tragen. Zu Beginn
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