Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
durch die Liquidation
von Anlagen um 20 Prozent. Doch aufgrund der Deflation stieg der Realwert dieser Schulden um schmerzhafte 40 Prozent. 32
Um eine Wiederholung der Weltwirtschaftskrise zu verhindern, forderte Fisher (wie Friedman und Minsky), die Notenbank solle
die Rolle des letztinstanzlichen Kreditgebers übernehmen und nicht nur Banken, sondern auch Unternehmen und Privatpersonen
die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. In extremen Fällen solle die Regierung nach Ansicht von Fisher eine »Reflationspolitk«
betreiben und die Wirtschaft regelrecht mit billigem Geld überschwemmen.
Genau das passierte in den vergangenen Jahren. Als sich die Krise 2007 und 2008 verschärfte, bedienten sich Politiker in den
Vereinigten Staaten bei den Lektionen aus der Weltwirtschaftskrise und handelten entsprechend. Statt wie die Hoover-Regierung |80| Anfang der dreißiger Jahre tatenlos zuzusehen, wie Tausende Banken und Unternehmen in der Finanzkrise untergingen, stellte
die Notenbank in beispiellosem Umfang Kredite zur Verfügung. Auf diese Weise wurde die Insolvenz von Investmentbanken, Versicherungsunternehmen,
Hedge-Fonds, Geldmarktfonds und anderen vermieden und der Teufelskreis aus Notverkäufen, sinkenden Preisen und neuen Notverkäufen
durchbrochen. Konzerne wie Chrysler und General Motors erhielten Kredite, um einen Konkurs abzuwenden, in dessen Verlauf die
Anlagen der beiden Unternehmen liquidiert worden wären. Stattdessen ermöglichte ihnen die Regierung eine Umstrukturierung
und einen Neuanfang. Dies war ein gewaltiger Unterschied zu den Liquidierern der Hoover-Regierung.
Auch der Unterschied zur finanzpolitischen Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise hätte nicht größer sein können. Während sich
die Wirtschaft Anfang der 1930er Jahre im freien Fall befand, existierte die Vorstellung, dass die Regierung mit öffentlichen
Mitteln die Nachfrage ankurbeln könnte, bestenfalls in Keynes’ Kopf. Regierungen in aller Welt beharrten auf einem ausgewogenen
Haushalt, weshalb sie zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt ihre Ausgaben beschnitten und die Steuern erhöhten. Im Gegensatz
dazu verabschiedete die Regierung von Barack Obama 2009 das größte Konjunkturprogramm in der Geschichte des Landes und senkte
die Steuern. Mithilfe der Geldpolitik (der staatlichen Kontrolle der Geldmenge) und der Finanzpolitik (der Steuer- und Ausgabenpolitik
der Regierung) wurde im Rahmen des Möglichen alles getan, auch wenn nicht immer alles gut war.
Mit diesem Krisenmanagement sollten doch Wirtschaftswissenschaftler jeglicher Couleur zufrieden sein, oder? Weit gefehlt.
Es gibt nämlich auch noch eine weitere Möglichkeit, Finanzkrisen zu verstehen, und diese zeichnet ein vollkommen anderes Bild
der Wirtschaftsgeschichte von der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre über das verlorene Jahrzehnt Japans bis zur Finanzkrise
der Gegenwart.
|81| Einmal Österreich und zurück
Die österreichische Schule geht auf das Ende des 19. und den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück und war eine lose Gruppe von
Wirtschaftswissenschaftlern wie Carl Menger, Ludwig von Mises, Eugen von Böhm-Bawerk und Friedrich Hayek. 33 Diese Ökonomen und ihre zahlreichen Schüler, darunter auch Joseph Schumpeter, waren ein zerstrittener Haufen und kaum unter
einen Hut zu bringen. Dies trifft übrigens auch auf die Wirtschaftswissenschaftler des 21. Jahrhunderts zu, die sich als Erben
der Österreicher verstehen.
Trotzdem lassen sich einige allgemeine Aussagen über sie machen. Wer sich heute zu dieser Gruppe zählt, vertritt eine libertäre
Position. Die österreichische Schule zeichnet sich durch eine tiefsitzende Skepsis gegen jegliche Form der staatlichen Einmischung
in die Wirtschaft und vor allem das Geldsystem aus. Die meisten Anhänger der österreichischen Schule unterscheiden klar zwischen
einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum, das aus privaten Ersparnissen finanziert wird, und einem instabilen Wachstum, das
mit Krediten der Notenbank finanziert wird. Sie würden Keynes und Minsky zustimmen, dass Anlage- und Kreditblasen gefährliche
Krisen heraufbeschwören können, doch sie suchen die Schuld dafür nicht beim Kapitalismus. Im Gegenteil, sie verweisen auf
die Politik – insbesondere auf die Politik des billigen Geldes – von Regierungen, deren Regulierungsmaßnahmen und Eingriffe
ihrer Ansicht nach das Funktionieren des Marktes beeinträchtigen.
Dieses Misstrauen
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