Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
voran Peter Temin,
haben seither festgestellt, dass der Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage der eigentliche Auslöser der Krise war.
Keynes hatte also überwiegend Recht: Nur staatliche Konjunkturprogramme hätten die gesamtwirtschaftliche Nachfrage aufrechterhalten
können, auch wenn eine aggressive Geldpolitik eine wirtschaftliche Erholung beschleunigt hätte.
Trotzdem war es Friedman, nicht Keynes, der in den siebziger und achtziger Jahren zunehmend an Einfluss gewann. Ein Grund
dafür war, dass die wenigen Überbleibsel der keynesianischen Wirtschaftstheorie bestenfalls eine blasse Kopie des Originals
waren. In Keynes’ Büchern – sowohl in der
Allgemeinen Theorie
als auch in seinem früheren Buch
Vom Gelde
– fanden sich zahlreiche Erkenntnisse, die die Ökonomen der Nachkriegszeit geflissentlich übersahen, um Keynes mit anderen
Denkrichtungen, vor allem den klassischen Schulen, in Einklang zu bringen. 26 Dieser Versuch, der als »neoklassische Synthese« bezeichnet wurde, war ein Gemischtwarenladen. Das Ergebnis war ein »bastardisierter
Keynesianismus« 27 , wie ein Kritiker es nannte, der gerade noch die Idee der Ankurbelung der Nachfrage durch den Staat enthielt und die meisten
anderen Erkenntnisse von Keynes ignorierte.
|76| Doch nicht alle vergaßen die weiterreichenden Implikationen von Keynes’ Arbeiten. Hyman Minsky, Wirtschaftsprofessor an der
Washington University in St. Louis, machte es zu seiner Lebensaufgabe, auf der Grundlage von Keynes ein umfassendes Theoriegebäude
zu errichten. In zahlreichen Büchern, darunter einer Keynes-Monografie und einem Buch mit dem vielsagenden Titel
Stabilizing an Unstable Economy
[
Die Stabilisierung einer instabilen Wirtschaft
] entwickelte er seine ganz eigene Interpretation seines Vorbilds.
In seinen Büchern und Artikeln erklärte Minsky, warum Keynes seiner Ansicht nach missverstanden wurde. Er stützte sich dabei
vor allem auf einige in Vergessenheit geratene Kapitel der
Allgemeinen Theorie
, die sich mit Banken, Kredit- und Finanzunternehmen befassen, und brachte diese in Einklang mit den Vorstellungen in Keynes’
früherem Buch
Vom Gelde
. Keynes, so Minsky, habe überzeugend dargelegt, warum der Kapitalismus von Natur aus instabil war und zusammenzubrechen drohte.
»Die Instabilität ist eine dem Kapitalismus eigene und unentrinnbare Schwäche.« 28
Nach Ansicht von Minsky waren die Ursache dieser Instabilität genau diejenigen Finanzinstitutionen, die den Kapitalismus überhaupt
erst ermöglichten. Er schrieb: »Keynes’ Analyse impliziert, dass die kapitalistische Wirtschaft mit einem grundsätzlichen
Fehler behaftet ist. Dieser Fehler besteht darin, dass das Finanzsystem, das die Voraussetzung der kapitalistischen Energie
ist und den unternehmerischen Instinkt in eine effektive Nachfrage nach Investitionen übersetzt, das Potenzial für eine unkontrollierte
Expansion beinhaltet, die durch einen Investitionsboom gespeist wird.« Diese unkontrollierte Expansion, so Minsky, könne jederzeit
zum Erliegen kommen, weil die »akkumulierten finanziellen Veränderungen das Finanzsystem instabil machen«. 29
Wiederholt kam Minsky auf Keynes’ Erkenntnis zurück, nach der Finanzunternehmen – vor allem Banken – eine entscheidende und
immer wichtigere Rolle in modernen Volkswirtschaften spielen und Schuldner sowie Gläubiger in ein hochkomplexes |77| Finanznetzwerk einbinden. »Das Dazwischentreten dieses Geldschleiers … ist ein besonderes Kennzeichen der Moderne« 30 , hatte Keynes geschrieben. Nach Minskys Meinung boten die Arbeiten von Keynes eine profunde Analyse des Zusammenspiels der
Finanzkräfte mit einer Vielzahl von wirtschaftlichen Variablen der Produktion und des Konsums einerseits und Output, Beschäftigung
und Preisen andererseits.
Damit stand Minsky in deutlichem Widerspruch zu den vorherrschenden Wirtschaftstheorien der Nachkriegszeit. In den Gleichungen
und Modellen der Architekten der neoklassischen Synthese hatten Banken und andere Finanzinstitute keinen oder nur wenig Platz,
und das, obwohl ihr Scheitern die gesamte Wirtschaft ins Chaos stürzen konnte. Minsky wollte dies ändern und demonstrieren,
inwieweit Banken und andere Finanzunternehmen mit zunehmender Komplexität und gegenseitiger Abhängigkeit das gesamte Wirtschaftssystem
zum Einsturz bringen konnten. In seiner Analyse stellte Minsky die Schulden – ihre Anhäufung, Verteilung und Bewertung – in
den
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