Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
zahlungsfähige Unternehmen, Banken und Haushalte
sind nicht mehr in der Lage, die Kredite aufzunehmen, die sie zum Überleben benötigen. Es ist eine Sache, wenn tatsächlich |86| insolvente Banken, Unternehmen oder Haushalte untergehen, aber es ist eine andere, wenn Unbeteiligte in den Bankrott getrieben
werden, weil die Kredite eingefroren werden.
Um diese Kollateralschäden zu vermeiden, scheint es sinnvoll, auf kurze Sicht dem Keynes’schen Drehbuch zu folgen. Und zwar
auch dann, wenn die Daten vermuten lassen, dass ein großer Teil der Wirtschaft nicht nur nicht flüssig, sondern tatsächlich
zahlungsunfähig ist. Kurzfristig ist es besser, durch eine Lockerung der Geldpolitik und andere vorbeugende Maßnahmen wie
Kredite oder Kapitalspritzen einen ungeordneten Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern. Genauso sinnvoll ist es, die
gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch staatliche Konjunkturprogramme und Steuerkürzungen anzukurbeln. Auf diese Weise lässt
sich verhindern, dass sich eine Finanzkrise zu einer anhaltenden Flaute wie dem verlorenen Jahrzehnt Japans oder zu einer
ausgewachsenen Wirtschaftskrise entwickelt.
Auf mittlere und lange Sicht können wir jedoch von den Österreichern lernen. Selbst Minsky unterstrich zu Recht, eine mittel-
und langfristige Lösung einer Finanzkrise erfordere, dass alle Akteure, von Haushalten über Unternehmen bis zu Banken ihre
Schulden abbauten. Bleibt dies aus, ertrinken sie irgendwann in ihren Schulden und sind nicht mehr in der Lage, Kredite zu
geben, Geld auszugeben, zu konsumieren und zu investieren. Eine Verstaatlichung der Verluste durch unbefristete staatliche
Finanzspritzen ist genauso unhaltbar wie der Versuch, die Schulden über eine höhere Inflation abzubauen. Dies verlagert das
Problem nur von einem Bereich der Wirtschaft in den anderen. Langfristig gesehen ist es unabdingbar, dass insolvente Banken,
Unternehmen und Haushalte in Konkurs gehen und von vorn anfangen können. Dauerhafte Lebenserhaltungsmaßnahmen verhindern eine
Lösung des Problems.
Anhänger von Keynes und Schumpeter sprechen in der Regel nicht miteinander. Das ist bedauerlich, denn beide Denker – und die
Denkrichtungen, für die sie stehen – können in der gegenwärtigen Situation einen wichtigen Beitrag leisten. Das heißt, dass
ihre |87| Erkenntnisse zusammengebracht und auf die heute anstehenden Probleme angewendet werden können. Wir sind der Ansicht, dass
eine erfolgreiche Lösung der gegenwärtigen Krise einen pragmatischen Ansatz erfordert. Er übernimmt das Beste aus beiden Lagern
und erkennt, dass staatliche Konjunkturprogramme, Rettungsaktionen, Unterstützung durch letztinstanzliche Kreditgeber und
Geldpolitik kurzfristig sinnvoll sein können, während andererseits eine langfristige Kalkulation erforderlich ist, um zum
Wohlstand zurückzukehren.
Daher befürworten wir in diesem Buch eine »kontrollierte kreative Zerstörung«. Eine Finanzkrise ist ein bisschen wie Atomkraft
– wenn ihre Energie auf einmal freigesetzt wird, kann sie gewaltige Zerstörung anrichten, doch ihre Gewalt lässt sich kanalisieren
und kontrollieren. Dank der massiven Interventionen von Regierungen und Notenbanken in aller Welt konnte die Finanzkrise unter
Kontrolle gebracht werden. Doch es gibt noch viel zu tun: Die giftigen Anlagen, die sich nach wie vor in aller Welt befinden,
müssen erkannt und beseitigt werden. Wir müssen neue Regeln formulieren, und internationale Finanzunternehmen müssen die Möglichkeit
erhalten, neu anzufangen.
Entscheidend ist die Frage, wie wir die Lösung dieser Aufgabe angehen. Keynes bemerkte einmal, »Wirtschaftswissenschaftler
machen es sich zu leicht, wenn sie uns in einem Sturm nur sagen können, dass sich das Meer schon wieder beruhigen wird, wenn
sich der Wind legt«. 39 Die Wogen werden sich in der Tat irgendwann wieder glätten. Doch wann das sein wird, hängt davon ab, wie wir das Problem
angehen, Lösungen schaffen und schwierige Entscheidungen treffen.
Angesichts der anstehenden Herausforderungen schadet es nicht, einen weiteren Pfeil im Köcher der Krisenwirtschaft zu haben.
Die Beschäftigung mit Krisen darf sich nicht auf die Theorie beschränken. Es ist eine weitere Perspektive nötig, die sich
nicht einfach auf eine Denkrichtung, ein Modell oder eine Gleichung reduzieren lässt: die Untersuchung der Vergangenheit.
|88| Vom Nutzen der Geschichte
Im Juni 2009 gab der
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