Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
handelt es sich dabei um die Bereitschaft von Menschen, unverhältnismäßige Risiken einzugehen, weil sie
wissen, dass jemand anders für mögliche negative Konsequenzen aufkommt und sie wieder aus dem Schlamassel herausholt. Autobesitzer
mit einer Diebstahlversicherung sind beispielsweise eher bereit, ihr Auto an einem Ort abzustellen, an dem es gestohlen werden
könnte, oder sie sind weniger geneigt, eine Alarmanlage einzubauen oder andere Diebstahlsicherungen zu verwenden. Sie wissen,
dass die Versicherung für mögliche Schäden aufkommt. Jemand anders nimmt ihnen das Problem ab. Und wer ein Auto mit einem
Wartungsvertrag least, geht eher weniger schonend mit dem Fahrzeug um, weil schließlich jemand anders mögliche Reparaturkosten
übernimmt.
In der jüngsten Finanzkrise spielte dieses verantwortungslose Risikoverhalten eine wichtige Rolle. Nehmen wir beispielsweise
die Verbriefungskette. Der Hypothekenvertreter, der wissentlich einen »Lügenkredit« für eine Bank abschließt, ist ein schönes
Beispiel für eine indirekte Aufforderung zum rücksichtslosen Verhalten: Er erhält eine Provision für seine Arbeit und übernimmt
keinerlei Verantwortung für das, was später mit seiner Hypothek passiert. Und der Händler, der immense Wetten auf CDOs abschließt,
wird im Falle eines Erfolgs fürstlich belohnt, doch im Falle eines Misserfolgs nur in Ausnahmefällen bestraft. Selbst wenn
er entlassen wird, behält er die Provisionen, die er im Laufe der Jahre kassiert hat. Die negativen Folgen seiner Entscheidungen
tragen andere, nämlich das Unternehmen, das ihn beschäftigte.
Diese Beobachtung ist bekannt. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass die Branche der Finanzdienstleister aufgrund ihrer besonderen
Vergütungsstruktur besonders anfällig für das Phänomen |100| des Moral Hazard ist. 10 Investmentbanken, Hedge-Fonds und andere Finanzdienstleister entlohnen ihre Händler und Bankkaufleute nämlich nicht nur über
ein Festgehalt, sondern über einen Jahresbonus. 11 Diese Boni wurden zwar schon seit Langem gezahlt, doch sie explodierten in den letzten Jahren, und die wichtigsten Investmentbanken
– Goldman Sachs, Morgan Stanley, Merrill Lynch, Lehman Brothers und Bear Stearns – überwiesen ihren Mitarbeitern immer gewaltigere
Summen. Im Jahr 2005 schütteten die größten Unternehmen Bonuszahlungen in Höhe von 25 Milliarden Dollar aus, im Jahr 2006
waren es 36 Milliarden, und ein Jahr später 38 Milliarden. 12
Insgesamt nahmen Bonuszahlungen einen immer größeren Anteil an der Vergütung der Händler ein. Im Jahr 2006 machten bei den
fünf größten Investmentbanken die Boni 60 Prozent der gesamten Lohnkosten aus. In Einzelfällen war dieser Anteil noch weitaus
größer: In den Firmen im Mittelpunkt der Krise betrugen die Bonuszahlungen in der Regel das Zehn- bis Zwölffache der Festgehälter.
Selbst nachdem sie durch staatliche Finanzspritzen gerettet worden waren, verzichteten diese Unternehmen nicht auf die Belohnung
ihrer Manager.
Das Bonussystem, das sich an kurzfristigen Gewinnen im Laufe eines Jahres orientiert, fördert riskantes Verhalten und Fremdkapitalaufnahme
in gewaltigem Maßstab. Dies war nirgends besser zu erkennen als bei dem Versicherungskonzern AIG, der sich darauf spezialisierte,
Versicherungen gegen bestimmte Ereignisse – etwa den Bankrott von Lehman Brothers – zu verkaufen, die in einem beliebigen
Jahr mit relativ geringer Wahrscheinlichkeit eintraten. Indem es gewaltige Summen auf den Nicht-Eintritt von Katastrophen
setzte, erzielte das Unternehmen kurzfristig große Einnahmen, Gewinne und damit Bonuszahlungen für Händler und Banker. Langfristig
passierte jedoch irgendwann das Unvermeidliche, und AIG ging beinahe unter. Die Konsequenzen für die Entscheidungen der Spekulanten
trugen andere, nämlich die Steuerzahler.
Diese Ausuferung des rücksichtlosen Verhaltens hätte verhindert |101| werden können. Dass dies nicht passierte, liegt an einem Phänomen, das Wirtschaftswissenschaftler als »Prinzipal-Agent-Problem«
bezeichnen. Demnach muss in großen kapitalistischen Unternehmen der »Prinzipal« (die Aktionäre und der Verwaltungsrat) andere
anstellen (die »Agenten«) zum Beispiel die Manager, die nach seinen Wünschen handeln und das Geschäft führen. Leider wissen
die Agenten unweigerlich mehr übers Geschäft als die Prinzipale und können ihre eigenen Interessen verfolgen – mit verheerender
Weitere Kostenlose Bücher