Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
einer globalisierten Weltwirtschaft wurden die Zinsen, zu denen
die Vereinigten Staaten Geld aufnehmen konnten, zunehmend auf dem Weltmarkt festgelegt. 32 Und dort standen gewaltige Ersparnisse aus Japan, Deutschland, China und einer Reihe von Schwellenländern bereit. Diese Ersparnisse
wollten irgendwo angelegt werden. Aus diesem Grund wurden sie am Ende dazu verwendet, die amerikanischen Schulden zu bezahlen.
Dank der niedrigen Zinsen auf Staatsanleihen mit kurzen und langen Laufzeiten bevorzugten Anleger verständlicherweise höher
verzinste Anlagen. Dazu gehörten unter anderem die Hypotheken von Fannie Mae und Freddie Mac beziehungsweise die hypothekenbesicherten
Wertpapiere dieser Institutionen. Diese hatten den Vorteil, mit einer impliziten Bürgschaft des Finanzministeriums der Vereinigten
Staaten ausgestattet zu sein.
Doch die ausländischen Investoren hörten an dieser Stelle nicht auf. Die privaten Gläubiger der Vereinigten Staaten – vor
allem europäische Privatanleger und Banken – wurden die wichtigsten Kunden der forderungsbesicherten Wertpapiere. Je nach
Schätzungen landeten 40 bis 50 Prozent dieser amerikanischen Papiere in den Portfolios ausländischer Investoren. Mit anderen
Worten: Die Einnahmen aus Kreditkartenschulden, Verbraucher-, Auto-, und Ausbildungskrediten sowie Hypotheken flossen über
den Prozess der Verbriefung in ausländische Portfolios. Dank dieser |117| Wertpapierkäufe finanzierten die ausländischen Investoren den Kreditrausch hinter der Spekulationsblase.
In welchem Umfang ausländische Investoren den Boom finanzierten, ist bislang unbekannt. Die Antwort ist nicht ganz unwichtig,
denn viele Kommentatoren haben die These vom »globalen Sparüber-hang« verwendet, um Ländern wie China die Schuld für die Hypothekenkrise
in die Schuhe zu schieben. Diese Kritik ist fehl am Platz, denn sie lenkt von den hausgemachten Problemen der Vereinigten
Staaten ab. Es ist jedoch unbestreitbar, dass diese Ersparnisse auf der Suche nach einer Anlagemöglichkeit schließlich in
den Vereinigten Staaten landeten und es den Amerikanern ermöglichten, zu lange zu weit über ihre Verhältnisse zu leben. Wären
die Vereinigten Staaten ein Schwellenland gewesen, und nicht die einzige Supermacht der Welt, dann hätten die Gläubiger ihr
Geld längst abgezogen.
Dies geschah jedoch nicht. Stattdessen floss immer neues Geld ins Land, und der Boom wurde von starken globalen Trends getragen.
Im Zusammenspiel mit all den anderen Faktoren hinter der Finanzkrise – der Politik des billigen Geldes, den verantwortungslosen
Finanzinnovationen auf dem Geldmarkt, den Problemen des Moral Hazard und der Unternehmensaufsicht sowie dem Aufstieg des Schattenbankwesens
– bereitete das leicht verfügbare Kapital aus dem Ausland einer Katastrophe von historischen Dimensionen den Weg. Doch keiner
dieser Faktoren wäre für sich genommen imstande gewesen, eine Krise auszulösen. Es kam noch ein letzter, entscheidender Faktor
hinzu, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte: die zunehmende Abhängigkeit von Schulden und Fremdkapital fast aller
Teilnehmer des Finanzsystems.
Die Verlockungen der Hebelung
Erinnern wir uns an Hyman Minskys Taxonomie der Kreditnehmer (siehe Kapitel 2). Auf der konservativen Seite stehen die abgesicherten |118| Finanzierungen, die nicht nur die Zinsen, sondern auch die Tilgung aus ihren laufenden Einnahmen bestreiten können. Riskanter
sind die spekulativen Finanzierungen, deren Einnahmen lediglich die Zinsen abdecken und die ihre Kredite ständig refinanzieren
müssen. Am gefährlichsten sind die sogenannten Schneeballfinanzierungen, die weder Zinsen noch Tilgung aus ihrem Einkommen
finanzieren können und neue Schulden aufnehmen müssen, um zahlungsfähig zu bleiben.
Minsky erkannte eine entscheidende Tatsache: Eine Volkswirtschaft wird umso krisenanfälliger, je mehr Akteure ihre Aktivitäten
über Schulden finanzieren. Je größer die Abhängigkeit von Schulden und Fremdkapital, umso instabiler das Finanzsystem.
Der Einsatz von Fremdkapital steigt seit Jahren. Zwischen 1960 und 1974 nahm der Anteil des Fremdkapitals bei amerikanischen
Banken um rund 50 Prozent zu. 33 Nach 1980 beschleunigte sich dieser Prozess noch. Statistiken über die Verschuldung der privaten Haushalte, der Finanz- und
anderen Unternehmen zeigen, dass 1981 die Schulden des privaten Sektors 123 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts
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