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Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft

Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft

Titel: Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nouriel Roubini , Stephen Mihm
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Eigenkapital bei und erwirbt CDOs im Wert
     von 100 Millionen Dollar. Nehmen wir weiter an, dass der Preis der Anlage auf 95 Millionen Dollar fällt. Damit ist das Eigenkapital
     des Hedge-Fonds verloren. Das muss kein Problem darstellen, denn der Preis kann wieder auf 100 Millionen Dollar steigen. Doch
     die Investmentbank könnte nervös werden und in einer sogenannten »Nachschussforderung« verlangen, den ursprünglichen Eigenkapitalanteil
     wiederherzustellen. Das heißt, dass der Hedge-Fonds ein Zwanzigstel der 95 Millionen Dollar, also 4,75 Millionen Dollar an
     Eigenkapital nachschießen muss. Ist der Hedge-Fonds in der Lage, das Geld aufzubringen, dann kann das Geschäft immer noch |121| gut gehen. Wenn nicht, muss er die CDOs zu 95 Millionen Dollar verkaufen und hat sein Eigenkapitel verloren.
    Das ist an sich auch noch keine Tragödie: Nachschussforderungen werden immer wieder gestellt, und Investoren oder Hedge-Fonds
     verlieren andauernd ihr Hemd. Es besteht jedoch die Gefahr, dass unser Hedge-Fonds nicht der einzige ist, der neues Kapital
     aufbringen muss. Was passiert, wenn mehrere Hedge-Fonds und andere Finanzunternehmen gleichzeitig eine Nachschussforderung
     erhalten? Das könnte eintreten, wenn die Anlage, die alle Beteiligten unter Einsatz von Fremdkapital erwerben, Gegenstand
     einer Spekulationsblase ist und die Preise in untragbare Höhen gestiegen sind. In der gegenwärtigen Krise waren die Immobilien
     eine solche Anlage, und zwar nicht nur in Form von Grundstücken und Gebäuden, sondern auch in Form von exotischen Wertpapieren,
     deren Wert von einer pünktlichen Rückzahlung von Hypotheken abhing.
    Wenn der Wert einer Anlage seinen Höhepunkt überschritten hat und fällt – beispielsweise, weil zahlreiche Schrotthypotheken
     gekündigt werden und die Einnahmen aus dem CDO versiegen –, dann sind die Auswirkungen im gesamten Finanzsystem zu spüren.
     Plötzlich müssen zahllose Investoren mitansehen, wie der Wert ihrer CDOs von 100 auf 95 Millionen Dollar fällt. Plötzlich
     erhalten alle Nachschussforderungen und müssen mehr Kapital aufbringen. Einige sind möglicherweise in der Lage, das fehlende
     Geld aufzutreiben, aber die Mehrzahl ist gezwungen, ihre CDOs zu dem Preis zu verkaufen, den der Markt in diesem Moment bezahlt.
     Und wenn zu viele Investoren gezwungen sind, ihre CDOs abzustoßen, dann erzielen diese vermutlich nicht mehr 95, sondern vielleicht
     nur noch 90 oder 85 Millionen Dollar.
    In diesem Fall müssen die Anleger noch mehr Anlagen abstoßen, um ihren Nachschussforderungen nachzukommen. Es entsteht ein
     Dominoeffekt aus Notverkäufen, da zu viele Verkäufer zu wenigen Käufern nachjagen. Schlimmer noch, Kreditgeber könnten nervös
     werden und bei der Umschuldung einen höheren Eigenkapitalanteil verlangen. Damit schütten sie nur neues Öl ins Feuer, und
     der Verkaufsdruck |122| steigt. Natürlich können die Kreditnehmer in Reaktion auf die Nachschussforderungen auch andere Anlagen wie Staatsanleihen
     und andere Wertpapiere verkaufen. Wenn jedoch alle dieselbe Strategie verfolgen, werden auch andere Werte von der Dynamik
     erfasst, die zunächst nur die CDOs betraf: Zu viele Verkäufer stoßen auf zu wenige Käufer, und die Preise fallen auf breiter
     Front.
    Was beispielsweise als Problem auf dem Immobilienmarkt begann, kann auf diese Weise auch auf andere Märkte übergreifen. Was
     als Schrottproblem begann, kann plötzlich das Problem aller werden. Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor?

|123| Kapitel 4
Anarchie
    Walter Bagehot war in der britischen Finanzwelt des 19. Jahrhunderts ein Gigant. Er gab nicht nur viele Jahre lang die Zeitschrift
Economist
heraus, sondern schrieb auch zahlreiche Artikel und Bücher über Finanzkrisen, darunter sein bekanntestes Buch
Lombard Street
, das im Jahr 1873 erschien. 1 Bagehot klagte, die großen Banken handelten »unklug, wenn sie die Details ihrer Unternehmensführung verbergen und diese Details
     aus der Risikodiskussion heraushalten«. In Zeiten des Wohlstands sei dies noch vertretbar, doch diese Verschleierungstaktik
     könne zu einer gefährlichen Hypothek werden. Nehmen wir an, schrieb er, »eine der großen Londoner Banken ist zahlungsunfähig«.
     Die Folge wäre »ein sofortiges Misstrauen gegenüber dem gesamten System. Wenn eine
terra incognita
Probleme hat, ist jede andere
terra incognita
sofort ebenfalls verdächtig.« Und er schloss: »Mit dem Ruin einer großen Bank geraten alle anderen ebenfalls in

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