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Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft

Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft

Titel: Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nouriel Roubini , Stephen Mihm
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Misskredit.«
    Wäre Bagehot im Jahr 2007 noch am Leben gewesen, hätte er sofort eine bekannte, beunruhigende Szenerie identifiziert: Citigroup,
     ein Finanzunternehmen mit tadellosem Ruf und undurchdringlicher Bilanz, geriet aufgrund mysteriöser Geschäfte mit zwielichtigen
     Zweckgesellschaften und einer erstaunlichen Vielfalt von strukturierten Finanzprodukten ins Trudeln. Eine große Bank war in
     Schwierigkeiten, doch das Ausmaß des Problems konnte man nicht erkennen. Damit gerieten auch andere |124| Finanzunternehmen unter Verdacht, und der Markt wurde unruhig.
    Die nachfolgenden Ereignisse entwickelten sich genau wie von Bagehot vorhergesehen. Die ersten Bankrotte des Jahres 2007 führten
     zu einem radikalen Vertrauensverlust, und das nicht nur im Sektor der Schattenbanken, sondern in der gesamten Finanzwelt.
     In kürzester Zeit brach der ganz normale Interbankenhandel, eine Stütze der Weltfinanz, zusammen. Der Grund lag auf der Hand:
     Das gesamte Finanzsystem war eine einzige
terra incognita
. Wie ein Ökonom von Lehman Brothers im Spätsommer 2007 meinte: »Wir bewegen uns in einem Minenfeld. Und niemand weiß, wo
     die Minen sind.« 2
    Diese Lähmung resultierte daraus, dass niemand wusste, welche Banken Zahlungsschwierigkeiten hatten und welche zahlungsunfähig
     waren. Es war eine Sache, aufgrund des Zusammenbruchs der Märkte Probleme bei der Refinanzierung zu bekommen, aber es war
     eine ganz andere Sache, bankrott zu sein. In einer Panik sind diese beiden Sachverhalte schwer voneinander zu unterscheiden,
     und dieser Mangel an Klarheit schürt die Panik nur noch weiter. Wenn es so weit kommt, sind nicht liquide Banken tatsächlich
     schnell insolvent, da der Wert der Anlagen unter dem Druck der Notverkäufe rasant verfällt.
    Nur einer kann Angst und Schrecken effektiv eindämmen: ein letztinstanzlicher Kreditgeber. Bagehot gilt als Erfinder dieser
     Einrichtung. Er war überzeugt, dass eine Art Überbank, wie sie die Bank von England oder die Federal Reserve darstellen, in
     die Bresche springen müsse, um die von der Kreditklemme betroffenen Banken zu unterstützen. Diese Überbank müsse ihre Geldreserven
     bereitstellen, »damit andere ihren Verbindlichkeiten nachkommen können. Sie muss Händlern, Kleinbanken und Privatleuten Geld
     leihen, wenn diese gute Sicherheiten vorweisen können«. Denn »in Zeiten der Panik werden aus einem Bankrott viele, und die
     beste Möglichkeit, die nachfolgenden Bankrotte zu vermeiden, besteht darin, den ersten zu verhindern, der die anderen verursacht«. |125| Bagehot hielt allerdings nichts davon, unterschiedslos alle zu retten: Nur zahlungsfähige Einrichtungen sollten Kredite erhalten,
     und die Zinsen sollten so hoch sein, dass wirklich nur notleidende Institutionen auf sie zurückgriffen. Seine Philosophie
     wird gern auf das Wesentlich reduziert: »Großzügige Kredite zu hohen Zinsen und gegen gute Sicherheiten.« 3
    Während der dramatischen Ereignisse der Jahre 2007 und 2008 wurde nicht nur Bagehots Diagnose des Problems Wirklichkeit, sondern
     es kam auch zu einer grundfalschen Umsetzung seiner Lösung. Panik erfasste die Märkte, die Unsicherheit griff um sich, Liquidität
     verdampfte, und die Notenbanken in aller Welt warfen den großen und kleinen Finanzunternehmen Rettungsringe aller Art zu.
     Eine Rettungsaktion in einem solchen Maßstab hätte sich Bagehot nie träumen lassen. Es handelte sich um eine Krise wie aus
     dem Lehrbuch, wenngleich sie schneller und heftiger zuschlug als jede andere vor ihr. Es war eine Panik des 19. Jahrhunderts
     mit der Geschwindigkeit des 21. Jahrhunderts.
     
     
    Der Minsky-Moment
     
    Schon im Frühjahr 2006 stand das Finanzsystem mit seiner gewaltigen Abhängigkeit von Fremdkapital und seinem blinden Glauben
     an immer weiter steigende Preise am Rande eines Zusammenbruchs von historischen Ausmaßen. Finanzunternehmen griffen immer
     öfter auf die spekulativen und Schneeballfinanzierungen zurück, wie sie Minsky beschrieben hatte. Die Euphorie hatte, ausgehend
     vom Immobiliensektor, das gesamte Finanzsystem erfasst und förderte weiteres Risikoverhalten. Einige Skeptiker läuteten die
     Alarmglocken, doch sie wurden überhört. Minsky schrieb über diese Momente des Überschwangs: »Die Kassandra-Rufe, dass sich
     nichts Grundlegendes verändert hat und dass es so etwas wie eine Belastungsgrenze gibt, an der die Euphorie in eine tiefe
     Depression umschlägt, werden unter diesen Umständen natürlich

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