Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
implizite Verluste handelte,
wie sie der ABX-Index anzeigte, oder um reale Kursrückgänge von Anlagen wie Aktien: Die Banken schoben die Schuld allein auf
die Anlegerpsyche. Sobald die Investoren wieder vernünftig wurden, dachte man, würden die Preise schon wieder zu ihrem ursprünglichen
Niveau zurückkehren. Die Märkte würden wieder flüssiger werden, und die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit wäre gebannt. Soweit
zumindest die Theorie.
Diese Vorstellung erscheint jedoch naiv. Die Krise war nie nur ein Resultat der fehlenden Liquidität, es gab auch zahlreiche
Insolvenzen. Das wurde deutlich, als das Unvorstellbare geschah: Die Ausfallquoten und Kündigungen der Hypotheken explodierten,
und die Einnahmen aus diesen Anlagen versiegten. Aus hypothetischen Verlusten der AAA-Tranchen wurden reale Verluste, und
diese Anlagen verloren an Wert. Auch andere Anlagen wie mit Unternehmenskrediten besicherte Wertpapiere sowie Unternehmensanleihen
und Kommunalobligationen verzeichneten Kurseinbrüche.
Selbst gewöhnliche Anleihen verloren an Wert. Viele Banken hatten private und kommerzielle Hypotheken, Kreditkartenportfolios,
Autokredite, Ausbildungskredite und andere Verbraucherkredite in ihren Büchern. Sie hatten Kredite an Industrie und Handel
vergeben oder Unternehmensübernahmen finanziert, und als die Wirtschaft der Vereinigten Staaten Ende 2007 in eine Rezession
überging, verloren auch diese an Wert.
Diese Entwicklungen machten deutlich, wie anfällig Banken waren. Während die Preise ihrer Aktiva fielen, konnten selbst renommierte
Geldinstitute zusehen, wie sich ihre Positionen verschlechterten und sie an den Rand der Insolvenz gerieten. Natürlich |140| konnte dies auch auf andere Weise geschehen: Sie konnten beispielsweise zusammenbrechen, wenn ein Run auf ihre Anlagen einsetzte.
Dafür waren vor allem die Schattenbanken anfällig, deren Anleger nicht von der Einlagensicherung geschützt waren. Konventionelle
Banken waren in dieser Hinsicht nicht gefährdet – so dachte man zumindest.
Doch als der Run auf die Schattenbanken an Fahrt gewann, setzte auch erstmals seit den dreißiger Jahren ein Ansturm auf gewöhnliche
Banken ein. Das erste Opfer war die Bankensparte von Countrywide Financial, des größten Hypothekenverleihers der Vereinigten
Staaten. Das Unternehmen, das von Angelo Mozilo gegründet worden war, stand im Zentrum der Subprimekrise. Als sich die Situation
zuspitzte, wurden Zweifel an der Gesundheit des gesamten Unternehmens laut und erfassten schließlich auch Countrywide Bank.
Im August 2007 stürmten die Sparer die Filialen von Countrywide und verlangten ihr Geld. Bilder wie diese hatte man seit Jahrzehnten
nicht mehr gesehen. Ein Rentner, der in einer Schlange vor einer Filiale wartete, brachte die Stimmung auf den Punkt, als
er einem Reporter sagte: »Ich bin in einem Alter, in dem ich mir kein Risiko mehr erlauben kann. Ich bringe das Geld gern
wieder zurück, wenn der Sturm vorbei ist.« 16
Sätze wie diese kannte man aus Finanzpaniken zu Bagehots Zeiten, doch es war bemerkenswert, solche Aussagen im 21. Jahrhundert
zu hören. Noch erstaunlicher war, dass die Runs auch auf das Ausland übergriffen. Einen Monat später erlitt die britische
Hypothekenbank Northern Rock ein ähnliches Schicksal. Wie im Fall von Countrywide stammte der größte Teil der Aktiva von Northern
Rock nicht aus privaten Spareinlagen. Doch das hinderte die Sparer nicht daran, Mitte September im Blitzlichtgewitter der
internationalen Medien vor den Filialen im ganzen Land Schlange zu stehen. Die Bank von England schritt ein und bot Finanzierungshilfen
an, doch der Run riss nicht ab. »Ich nehme nicht an, dass die Bank pleite geht, aber ich habe einfach nicht die Nerven«, erklärte
ein Kunde. »Ich hebe das Geld ab, um ruhig schlafen zu können.« 17
|141| Währenddessen wurden Ängste laut, dass auch auf andere regulierte Banken, die von der Einlagensicherung gedeckt wurden, ein
Run einsetzen könnte und sie dadurch zahlungsunfähig werden könnten. So irrational der Run schien, die Einlagenkunden hatten
allen Grund, sich Sorgen zu machen. Die beiden betroffenen Banken bürgten nur für einen Teil der Einlagen, nämlich für maximal
100 000 Dollar im Falle von Countrywide und 30 000 Pfund im Falle von Northern Rock. Viele Sparer hatten erheblich größere
Beträge angelegt und würden im Falle einer Insolvenz ihre Ersparnisse verlieren, egal ob die
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