Das Ende des großen Fressens - · Wie die Nahrungsmittelindustrie Sie zu übermäßigem Essen verleitet - · Was Sie dagegen tun können
wieder.«
Weil es mir nach einem Keks wieder besser geht, gewöhne ich mich schnell daran, mir einen zu holen, wann immer ich traurig oder wütend bin. Mit der Zeit verknüpfen meine Nervenbahnen
die Gemütsveränderung mit der Erfahrung »Ich esse meinen Keks«, und die Verbindung wird stärker.
»Solche Produkte vermitteln Genuss und Beruhigung zugleich«, erklärt mir Koob. »Mit anderen Worten, sie lindern das Jucken.« Dummerweise kehrt das Jucken zurück.
Ärger und Unruhe können Hinweisreizen den Boden bereiten, meint Charles O’Brien, Professor an der Universität Pennsylvania. [Ref 137] »Ein Hinweisreiz, der im Grundzustand [wenn der Körper ausgeglichen ist], keine Wirkung mehr hat, erzeugt nach wie vor Verlangen und physiologische Veränderungen, wenn man ihn präsentiert, nachdem sich der Betroffene geärgert hat.«
Das ist zum Beispiel gut bei Rauchern zu beobachten. »Ich kann mich daran erinnern, wie in einem Raum heftig diskutiert wurde, und plötzlich alle ihre Zigaretten anzündeten–teils um noch aufmerksamer zu werden, teils um sich zu beruhigen«, berichtet Koob. »Ich glaube, wenn Menschen lernen, so zu essen, geschieht dasselbe.«
Solche Reaktionen wurden mittels Bildgebungsverfahren nachgewiesen, wo die Reaktion der Probanden auf einen angebotenen Milchshake überprüft wurde. [Ref 138] Dabei erzeugten die Forscher einmal eine düstere Stimmung, indem sie traurige Musik spielten und die Teilnehmer baten, eine besonders bedrückende Erfahrung aus ihrem Leben zu erzählen. Anschließend reagierten die Gehirnregionen, in denen das Belohnungszentrum liegt, stärker auf die Hoffnung auf den erwarteten Milchshake als bei Teilnehmern in neutraler Stimmung.
»Wir interpretierten diese Ergebnisse als Hinweis darauf, dass emotionale Esser die Vorstellung, einen Milchshake zu bekommen, mit einer Belohnung verbinden, wenn sie in diesem Moment unangenehme Empfindungen haben«, so Eric Stice vom
Forschungsinstitut Oregon. »Bei nicht-emotionalen Essern ist dies nicht der Fall, ebenso wenig bei neutraler Stimmungslage. Das Phänomen trat nur bei negativer Stimmung auf.«
Wenn die Gefühle eine Belohnung verstärken, lässt sich der Drang, sich eine Belohnung zu verschaffen, noch schlechter steuern. [Ref 139]
Auch Stress verstärkt jeden der Faktoren, die das Überessen befeuern, weil er unsere Erregung erhöht. »Wer aufgeregt ist, reagiert stärker auf einen Reiz–der Reiz bekommt etwas mehr Macht«, so Bernard Balleine. [Ref 140]
Man könnte es als das Pappklammer-am-Rattenschwanz-Phänomen bezeichnen. Wenn man eine Pappklammer auf den Schwanz einer Ratte steckt, bedeutet das für das Tier einen gewissen Stress. Sein normales Verhalten wird davon nicht beeinträchtigt, aber es reagiert doch bei allen gewohnten Verhaltensweisen heftiger.
Andererseits hat dieses Phänomen auch seine Grenzen. Massiver Stress–zum Beispiel ein Todesfall in der Familie–kann diese Reaktion unterbrechen und das Überessen unterbinden.
Um den Einfluss von leichtem Stress bildlich darzustellen, bat mich Balleine, mir vorzustellen, ich wäre in einem mir vertrauten Konferenzsaal. Solange die Atmosphäre noch entspannt war, sollte ich mich umsehen: »Sie nehmen Reize wahr, aber die haben noch keine Auswirkungen auf Ihre Bewegungen.« Dann verändert sich die Dynamik der Besprechung, und ich ärgere mich über jemanden. Plötzlich bekommt ein vorhandener Reiz, der früher einmal eine Belohnung versprochen hat, ganz neue Macht.
Bei mir ist dieser Reiz wahrscheinlich der Teller Kekse auf dem
Tisch. Unter normalen Umständen fiele es mir nicht schwer, ihn zu ignorieren und ihm zu widerstehen. Wahrscheinlich würde ich mich bewusst davon abhalten, einen Keks zu nehmen. Doch sobald es stressig wird, fällt die Zurückhaltung immer schwerer. Der Stress verstärkt mit der Erregung auch mein Appetenzverhalten und übertönt damit die Stimme des Bewusstseins, die sich bemüht, Nein zu sagen.
»Wenn dieser leichte Erregungszustand eintritt, neigt der stärkste Hinweisreiz in der Umgebung dazu, die Bewegungsreaktion in Gang zu setzen, die schon früher mit dem Reiz einherging«, so Balleine. »Es geht dabei um das Niveau der gefühlsmäßigen Erregung.«
Kritisch sind vor allem Übergangsphasen. Der Verzehr von fett- und zuckerreichen Speisen scheint eine Möglichkeit zu sein, um unangenehme »Übergangsgefühle« zu lindern. Solche Gefühle empfinden wir beim Wechsel von einer Handlung zur nächsten. Die Besprechung ist
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