Das Ende des Himmels: Roman (German Edition)
sich nicht sicher, wie lange sich die Flüchtlinge in Geduld üben würden.
»Jetzt«, sagte sie zu ihm. »Ich lasse Flammenhaar bei dir.«
»Nein!« Seine Stimme war wieder stärker geworden, stärker als zuvor. »Nein! Was ist, wenn … wenn …?«
»Du wirst sie auf dem Rücken tragen, wie ich es tue. Ich weiß, was dir durch deinen ach so edlen wilden Kopf geht, aber das werde ich nicht zulassen.« Sie packte ihn an den Schultern. »Du wirst nicht zurückbleiben. Ich brauche dich an meiner Seite. Euch beide. Wir sind der Stamm. Alle drei. Oder keiner. Und vergiss nicht den Plan! Ich kann das Kriegsschiff nicht ohne dich erobern.«
Fünf starke Männer nahmen das Seil auf der anderen Seite und spannten es. Familienväter, wie er bemerkte. Sie setzten sich dafür ein, ihre Leute in Sicherheit zu bringen. Er hatte wieder ein schlechtes Gewissen, schluckte es jedoch hinunter.
Indrani griff nach dem magischen Seil und hangelte sich daran entlang. Es hing leicht unter ihrem Gewicht durch, sodass ihr Hintern fast die Oberfläche des Schleims berührte. Er spürte die Belastung auf seinen Schultern, aber das Bett, an dem das Seil verankert war, trug den größten Teil. Die Männer auf der anderen Seite mussten das Gewicht allein tragen, und ihre Gesichter verzerrten sich unter der ungewohnten Anstrengung.
Halb aufgelöste Leichen trieben unter Indrani, während Flammenhaar auf Stolperzunges Rücken wimmernd nach ihrer Mutter verlangte.
»Alles gut, meine Kleine«, sagte er. »Alles wird gut.«
Im anderen Korridor gab es eine Explosion. Menschen schrien, und weitere Flüchtlinge stürmten in Panik herein. Was steht uns da drüben bevor? , fragte sich Stolperzunge.
Die Konzentration der Männer ließ nach, und das Seil erschlaffte, sodass Indranis Gewand den Schleim streifte.
»Zieht mich hoch!«, rief sie. Die Männer taten es, und sie arbeitete sich ein Stück weiter. Sie war nur noch zehn Schritte von der anderen Seite entfernt. Nur noch zehn!
Ein grelles grünes Licht, das Stolperzunge schon einmal gesehen hatte, erhellte den Korridor hinter den Flüchtlingen. Der Mann, der ihn auf der Oberfläche gejagt hatte, Varaha, hatte eine Waffe gehabt, die so etwas bewirken konnte.
»Er kommt!«, rief jemand. »Der Dämon kommt!«
Die Männer ließen das Seil nicht los. Sie verzogen die Gesichter, und einer von ihnen riss den Mund auf, vielleicht, um etwas zu rufen. Aber es spielte keine Rolle mehr. Alle stürmten gleichzeitig auf den Schleimtümpel zu und warfen die Männer um, die das Seil hielten.
»Indrani!«, schrie Stolperzunge, als sie kopfüber in den Schleim stürzte. Es hätte gut gehen können. Sie hätte sich erheben und sich nicht um die Verbrennungen scheren können, die sie auf dem letzten Abschnitt des Weges erlitten hätte. Schließlich hatten andere Leute viel länger durchgehalten. Doch sämtliche Flüchtlinge drängten sich um sie herum in den Teich. Sie würden Indrani niedertrampeln und unter die Oberfläche drücken, bevor sie wieder hochkommen konnte. Sie hatte keine Chance, nicht die geringste Chance.
»Indrani!«, schrie er wieder. Flammenhaar stimmte in seine Klage ein, als Stolperzunge das Seil losließ und losstürmte. Er sprang von der Kante ab, um in hohem Bogen eine möglichst weite Strecke zu überwinden, während das Baby weiterhin auf seinem Rücken wimmerte. Er dachte nicht darüber nach, das die Landung das Kind erschrecken würde, er dachte an gar nichts. Er tauchte platschend ein, und für einen Moment verschwand sein Kopf im Schleim, bevor er wieder auf die Beine kam.
Die Leute von drüben stürmten auf ihn zu. Sie befanden sich zwischen ihm und seiner Indrani, womit sie automatisch zu seinen Feinden wurden, zu Fleisch für seinen Speer. Er warf die Bestien aus dem Weg, während er das erste Kribbeln auf der Haut spürte. Dann fühlte es sich an wie winzige Nadeln, und als er die Stelle erreichte, wo sie untergetaucht war, wurden sie zu Messern, die in seine immer noch empfindliche Haut schnitten. Er brüllte und stöhnte, schlug fremde Wesen zur Seite und griff in die brennende Flüssigkeit, um seine Frau herauszuziehen. In seinem Hinterkopf bemerkte ein ruhiger Teil seines Bewusstsein, dass irgendwo ein verzweifeltes Baby schrie.
Stolperzunge hob Indranis Körper empor und wankte auf das Ufer zu. Inzwischen waren die Messer zu Zähnen geworden. Wie tausend junge Panzerrücken, die ihn zerfleischen wollten, die Happen aus seinem Körper rissen, von den Zehen bis zur
Weitere Kostenlose Bücher