Das Ende des Zufalls - Wie Big Data uns und unser Leben vorhersagbar macht (German Edition)
der vor allem auch auf jeden Interpretationsansatz verzichtete, abgearbeitet wurde. Die Experten hingegen vertrauten auf ihre Erfahrung, um aus einer Vielzahl von Einzeldaten intuitiv die richtige Auswahl zu treffen und Letztere auch richtig zu interpretieren.
Was die Prognosen betraf, hatte diese Wahlnacht einen echten Helden: Nate Silver. Bereits 2008 sagte er die Ergebnisse der Präsidentenwahl und viele andere politische Entscheidungen mit seiner statistisch-mathematischen Methode sehr akkurat vorher. Lange vor der aktuellen Wahl, als die Medienlandschaft immer von einem knappen Rennen oder sogar einem Romney-Sieg sprach, hatte er sich in seinem Blog „FiveThirtyEight“ (die Zahl der US-Wahlmänner-Stimmen), in dem laufend eine aktualisierte Prognose veröffentlicht wurde, klar festgelegt: 90 Prozent Wahrscheinlichkeit für einen Obama-Sieg. 20 Diese klare Festlegung auf eine Prognose sowie Silvers extreme „Zahlenlastigkeit“ machten ihn für die etablierten politischen Kommentatoren zu einer verdächtigen Erscheinung. Die gesamte Medienwelt trat ihm bis zur Wahlnacht durchaus ambivalent entgegen, manche Experten sogar ausgesprochen feindlich.
„Nate Silver ist eine Witzfigur, der es untersagt sein sollte, in der Wahlzeit Schreibmaschine, Computer, Laptop oder Mikrofone zu benutzen“.
Joe Scarborough, Politexperte und ehemaliger republikanischer Kongressabgeordneter
Auch vor der Obama-Wahl im November 2012 gab es heiße Debatten um die Rolle der Data Scientists im politischen Bereich. Hauptziel der Attacken der Meinungsforscher und politischen Experten der Medienszene: Nate Silver. Niemand wollte wahrhaben, dass die emotionslose Auswertung von Daten mehr Gewicht haben sollte als die jahrzehntelange Erfahrung der Experten – trotz der bisher erstaunlichen Treffsicherheit seiner Methoden. Er war übrigens nicht der Einzige, der dank Algorithmen reüssierte. Auch der Neuro-Wissenschaftler Sam Wang von der Princeton University, der seit 2004 ebenfalls ein zahlenfokussiertes System für Wahlvorhersagen einsetzt, konnte das Ergebnis verblüffend genau vorhersagen. 21
Warum sind viele Journalisten Silver so skeptisch gegenübergestanden? Journalisten greifen auf offizielle Quellen zurück und beurteilen sie nach Nachrichtenwert. Je etablierter eine Quelle ist, je mehr sie auf Erfahrung im jeweiligen Gebiet verweisen kann, desto nachrichtenwürdiger ist sie. Zwischen Journalisten und Experten entsteht eine Symbiose, die mehr an den Bedürfnissen der medialen Umsetzung als an der Prognose selbst orientiert ist. Nate Silvers Ansatz entspricht diesem Prozess in keiner Weise. Fällen die Experten ein intuitives Urteil auf Basis ihrer Erfahrung, so setzt Silver auf ein wissenschaftlich begründetes, in seinen systematischen Schritten der Verarbeitung bestimmter Daten nachvollziehbares und überprüfbares Konzept. Aber Informationen, besonders wenn sie unsere Zukunft betreffen, wollen wir aus sogenannten vertrauenswürdigen, verlässlichen Quellen bekommen. Die Tatsache, dass diese vertrauenswürdigen, verlässlichen Quellen des Wissens um unsere Zukunft nicht mehr väterliche Figuren mit der Autorität eines reichen Erfahrungsschatzes sind, sondern anonyme Algorithmen, deren Mechanik wir weder verstehen noch nachvollziehen können, wird einfach nicht akzeptiert.
Dazu kommt der Umstand, dass Medien auch medienwirksame Experten brauchen, die weniger das Ergebnis als vielmehr sich selbst verkaufen müssen. Nüchterne Zahlen aus statistischen Modellen erfüllen diesen Zweck nicht. Über Meinungen von Experten kann man diskutieren. Über Daten nicht, maximal über die Rechenmodelle, aber davon verstehen Journalisten meist nichts. Sie misstrauen daher diesen Ergebnissen mehr als den Prognosen der ihnen bestens bekannten Experten. Doch das wird sich ändern, der Erfolg von datengetriebenen Vorhersagemodellen wird dazu beitragen. Trotz seiner trockenen Methode hat Nate Silver es nun geschafft, zum Medienstar zu werden. Sein Buch „The Signal and the Noise: Why So Many Predictions Fail – but Some Don’t“ eroberte in den Verkaufscharts von Amazon rasch Platz eins. Und in Zukunft wird Nate Silver einer neuen Sparte von Journalisten gegenüberstehen, die mit ihm auf Augenhöhe diskutieren können, weil sie auf Daten und Datenanalysen spezialisiert sein werden. 22
Jedenfalls können wir davon ausgehen, dass TV-Sender und auch andere Medien aus den Erfahrungen dieser Wahlnacht Schlüsse ziehen. In einer
Weitere Kostenlose Bücher