Das Ende des Zufalls - Wie Big Data uns und unser Leben vorhersagbar macht (German Edition)
Internet-Blog-Diskussion, wenige Tage nach der Wahl, meinte Silver: „Ich glaube, es ist für Reporter sehr wichtig, auch in Mathematik, Statistik, Logik und Wirtschaftswissenschaft versiert zu sein. Eine Menge davon ist nicht so kompliziert. Wenn ich eine große Nachrichtenorganisation leiten würde, würde ich dafür sorgen, dass meine Reporter ein paar Mathe- und Statistikkurse machen.“
Die Situation rund um die Prognosen der US-Wahl hat ein grundsätzliches Problem unserer Urteilsfindung aufgezeigt: Wenn menschliches Urteilsvermögen und ein immer größeres Maß an zur Verfügung stehenden Daten aufeinandertreffen, geschieht etwas Unerwartetes. Die Auswahl, welche dieser vielen Daten wir nun tatsächlich in unsere Beurteilung miteinbeziehen, ist sehr subjektiv. Die Informationen, die wir aus dem Meer der Daten für unser Urteil verwenden, werden daher oft nicht jene sein, die für die Entscheidung besonders relevant sind, sondern jene, die unserer Erwartungshaltung entsprechen und auch im Einklang mit den Erwartungen unserer Freunde stehen. So fühlen wir uns gut und so hat es unser Gehirn am liebsten.
Genau das ist auch in der Auseinandersetzung zwischen Experten und mathematischen Modellen das Thema. Wenn es 20 Umfragen gibt, dann werden die Algorithmen ohne Problem alle 20 Ergebnisse gewichten und in ihre Bewertung miteinbeziehen. So stur und unbestechlich, wie wir sie programmiert haben. Die meisten Experten werden aber vor der Vielzahl der angebotenen Daten stehen wie wir in der Joghurtabteilung im Supermarkt vor 58 verschiedenen Sorten. Sie werden sich jene zwei oder drei Aspekte herauspicken, die ihre Bauchmeinung am besten unterstützen. Und weil sie eben TV-Experten sind, werden sie diese durch und durch subjektive Auswahl der Daten und die daraus gezogenen Schlüsse überzeugend argumentieren können.
Im Kapitel „Bist Du smarter als ein TV-Experte?“ rechnet Silver mit den TV-Experten ab. Er untersuchte ihre Treffsicherheit anhand von rund eintausend Prognosen in der US-TV-Show „The McLaughlin Group“, in der am Ende der Sendung jeder der Experten eine Vorhersage abgibt. Das Ergebnis seiner Auswertung dieser Expertenprognosen: Exakt die Hälfte der Vorhersagen war komplett oder überwiegend falsch und genauso viele waren richtig. Das heißt, die Experten schafften keine größere Treffergenauigkeit, als man mit dem Werfen einer Münze erzielen könnte.
„Die Fähigkeiten, die einen Experten zum TV-Star werden lassen, liegen meist nicht in seinem Verständnis von Mathematik und Statistik. Und jede Form von Komplexität ist an sich schon quotenfeindlich. TV-Experten konzentrieren sich in ihren Kommentaren also meist auf eine große Idee. Die überzeugende Art, sie zu präsentieren, lässt uns zuhören – nicht die Richtigkeit der Idee“.
Nate Silver über die politischen TV-Experten
Ist es nun bei Wissenschaftlern, die nicht unter dem Druck einer Live-Sendung stehen, die keine journalistischen Anforderungen erfüllen müssen, anders? Sind sie in ihren Prognosen objektiver, verlässlicher? Auch hier hat Silver ein Beispiel bei der Hand. Philip E. Tetlock, Professor für Psychologie und Politikwissenschaft an der University of California in Berkeley, hat die Analysen und Prognosen von wissenschaftlichen Experten über 15 Jahre untersucht und in seinem Buch „Expert Political Judgement“ veröffentlicht. Die Schlussfolgerung von Tetlock ist ebenso verheerend wie die von Silver über die TV-Pundits. Es fehle ihnen nicht an Selbstvertrauen, aber dafür an der Fähigkeit, Wahrscheinlichkeiten vorauszuberechnen. 15 Prozent der Ereignisse, von denen sie sagten, es bestünde keine Chance, dass sie eintreten, traten ein. Und 25 Prozent jener Dinge, von denen sie sagten, dass sie in jedem Fall geschehen werden, traten nicht ein. Die Fehlprognosen teilten sich gleichermaßen auf alle Gebiete auf, sei es nun nationale Politik, Außenpolitik oder Wirtschaft. 23
Die Obama-Crew hat sich dem Motto „Kopf statt Bauch“ rigoros verschrieben und bereits vor einigen Jahren Datenfachleute für ihre Kampagne engagiert, wobei aktiv an Universitäten wie Stanford nach statistisch-mathematischen Talenten gesucht wurde. Viele Entscheidungen wurden daher im Wahlkampf schon aufgrund quantitativer Analysen und nicht wie früher „aus dem Bauch heraus“ getroffen. So ging man bei der Frage, welche Prominenten welche Art von Fundraising Dinner machen sollten, nach gesicherten statistischen Daten vor.
Weitere Kostenlose Bücher