Das Ende des Zufalls - Wie Big Data uns und unser Leben vorhersagbar macht (German Edition)
noch multipliziert haben. Deshalb haben wir auch Werkzeuge und Technologien geschaffen, die uns helfen, in die Zukunft zu blicken, den bedrohlichen Zufall auszuschalten und unser Gehirn zu entlasten. Dies aber um den Preis, dass wir uns digitaler Technologien und mathematischer Modelle bedienen, deren Ablauf und Ergebnisse wir selbst nicht mehr kontrollieren können, sondern für deren Kontrolle wir wiederum digitale Technologien und mathematische Modelle benötigen.
Den Zufall vermeiden –
die Vorhersagemaschinen von gestern
Schon immer haben sich Menschen gewünscht, in die Zukunft sehen zu können, sie vorhersagbar zu machen. Zunächst waren es vor allem die mystischen, okkulten Formen der Vorhersage von Ereignissen, die die Menschen auf der Suche nach Informationen über zukünftige Entwicklungen in ihren Bann zogen. Eine dieser Formen waren die legendären Orakel, die wie jenes von Delphi in der Antike besondere Bedeutung erlangten und oft eng mit Politik und militärischer Macht verbunden waren.
Schon früh haben aber Menschen auch versucht, zukünftige Ereignisse aufgrund mathematischer Formeln und physikalischer Regeln zu berechnen und damit vorhersagbar zu machen. In der Astronomie zum Beispiel hat die Wissenschaft sich seit Jahrtausenden bemüht, den Lauf der Gestirne und damit verbundene Naturerscheinungen wie etwa Sonnenfinsternisse vorherzusagen und damit recht guten Erfolg gehabt. Die ersten Geräte aus der Zeit der Babylonier waren die sogenannten Armillarsphären zur Darstellung und Messung der Position von Sternen, später entstanden dann die Astrolabien und auch die Sextanten. 12
In den folgenden Jahrtausenden konzentrierten sich die Versuche, den Zufall durch Vorhersagesysteme obsolet zu machen, auf zwei Grundrichtungen: Alles, was mit gesellschaftlichen und sozialen Dingen zu tun hatte, wurde hauptsächlich im mystisch-okkulten Bereich abgehandelt. Die mathematisch-statistische Methode blieb den physikalischen Vorgängen in der Welt vorbehalten, wie eben die Vorhersage der Planetenkonstellation oder etwa Sir Kelvins Gezeiten-Rechenmaschine, die die Höhe der Gezeiten der Meere an bestimmten Stellen vorhersagen konnte.
1948 rechnete Sir Karl Popper auf der Vollversammlung des 10. Internationalen Philosophen-Kongresses in Amsterdam mit dem Historizismus von Marx und vielen Philosophen seit Plato ab. „Der Versuch der Sozialwissenschaften“, erklärte Popper vor den Teilnehmern des Kongresses, „Gesetzmäßigkeiten der historischen Entwicklung zu finden, um daraus zukünftige Entwicklungen vorherzusagen und damit der Gesellschaft und der Politik praktische Hinweise zu geben, welche Maßnahmen in Zukunft aller Wahrscheinlichkeit nach erfolgreich sein werden und welche nicht, ist zum Scheitern verurteilt“. Man könne dabei im besten Fall von Prophezeiungen und nicht von Vorhersagen im wissenschaftlichen Sinn sprechen. 13
„Es ist eine Tatsache, dass wir eine Sonnenfinsternis mit einem hohen Grad an Präzision und für einen langen Zeitraum vorhersagen können. Warum sollten wir nicht in der Lage sein, Revolutionen vorherzusagen? Hätte ein Sozialwissenschaftler 1780 nur halb so viel über die Gesellschaft gewusst, wie schon die alten Babylonier über Astronomie, dann hätte er in der Lage sein müssen, die Französische Revolution vorherzusagen!“ Diese von Sir Popper als „Sozialwissenschaftliche Doktrin des Historizismus“ bekämpfte Sichtweise erscheint heute, im Zeitalter von Big Data und vorhersagender Analyse, in einem anderen Licht.
Die Datenrevolution bringt uns auch hier eine Wende: Es eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten, soziales Verhalten und gesellschaftliche Entwicklungen unter Einbeziehung bisher nicht vorstellbarer und auch nicht verarbeitbarer Datenmengen in mathematischen Modellen zu untersuchen und daraus Vorhersagen zu entwickeln. Und das mit überraschend treffsicheren Ergebnissen. Rund um diese neuen digitalen Vorhersagemaschinen ist ein globaler Wettlauf im Gang, in den nicht nur die großen Digital-Konzerne, sondern auch Regierungen und Geheimdienste involviert sind.
Waren die Vorhersagemaschinen des Altertums noch mechanische Konstrukte, die mit Zahnrädern und analogen Rechenmechanismen operierten, so kam mit der digitalen Entwicklung des Internets eine völlig neue Generation von Prognose-Systemen. Analysemodelle, die auf ungeheure Datenmengen und mächtige Algorithmen als Rechenmaschinen zurückgreifen konnten, und die zudem noch in vielen Fällen auf
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