Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
Vom Netzwerk:
oft irgendwohin mitgenommen. Doch den Anspruch, mehr zu sein als jemand, der Erinnerungen sät, hatte ich nie.
    FOLCO: Und was hast du dir von uns erwartet?
    TIZIANO: Die Erwartungen eines Vaters können eine schwere Bürde sein. Man muss seinen Kindern schon ihre Freiheit lassen. Weißt du, eins ist mir immer klar gewesen: dass ich, der ich jetzt kaum noch die Kraft habe, meinen Namen zu hauchen, als Vater einen gewaltigen Schatten geworfen habe. Mein Gott, einen Meter sechsundachtzig groß, immer in vorderster Reihe, mit meinen feinen weißen Kleidern, immer auf dem Posten, immer sympathisch, witzig und schlagfertig. Von all dem hast du dich zurückgezogen. Mit meiner ganzen Art bin ich eine harte Nuss für dich gewesen, was?
    Doch weißt du, schon bald bin ich zu einer einfachen Schlussfolgerung gelangt. Es bringt nichts, sich groß den Kopf darüber zu zerbrechen und psychoanalytische Kommentare zu wälzen. Wäre ich ein Waschlappen gewesen, ein Angsthase und Nichtskönner, hättest du später geklagt: „War der ein Waschlappen! Nichts hat er mir beigebracht, nie ist er mir ein Vorbild gewesen!“Mit einem starken, harten Vater wie mir hingegen konntest du sagen: „Mein Gott, er hat mich immer fast erdrückt!“
    Ich war ich und du warst du, damit hieß es sich zu arrangieren. Du hast einen dominanten Vater? Gut, sieh zu, wie du damit klarkommst. Und du hast ja durchaus deine Strategien entwickelt, nicht? Meine Güte, hast du mir manchmal zu schaffen gemacht … Nie werde ich den Tag vergessen, an dem ich in China einen meiner schönsten Teppiche gekauft hatte: einen kleinen, gelben tibetischen, an dem mir wirklich viel lag. Ich hatte ihn gewaschen und zum Trocknen aufgehängt und dich kurz darauf wegen irgendetwas ausgeschimpft. Fünf Minuten später sah ich dich den Teppich durchs Haus zerren und schließlich aus dem Fenster werfen!
    Wir lachen.
    FOLCO: Jeder reagiert eben auf seine Art.
    TIZIANO: Wenn du mich fragst, was ich mir als Vater für dich oder Saskia gewünscht habe, kann ich heute, glaube ich, ehrlich sagen, dass ich nichts Besonderes für euch im Sinn hatte. Weder besaß ich eine Anwaltskanzlei und träumte davon, dass ihr Jura studiertet, noch war ich Arzt und hoffte, eines Tages würdet ihr meine Praxis übernehmen. Manchmal magst du den Eindruck gehabt haben, ich wolle dich zum Journalismus drängen, doch das stimmt nicht. Schließlich wird man nicht geboren, um Journalist, Ingenieur oder Straßenbahnfahrer zu werden. Das macht man doch alles nur, um mehr oder weniger angenehm leben zu können. Und ich für meinen Teil habe immer sehr gut gelebt.
    Wenn ich mich also frage, was ich für dich erträumt habe, ist die Antwort ganz einfach: Ich wollte vor allem, dass du frei bist. Das war mir wirklich wichtig, und ich habe dafür eine verschrobene, simple und, wie soll ich sagen, auch etwas machohafte Formel gefunden … Ich hatte das Gefühl, du als mein Sohn, als Mann, könntest frei sein, aber nicht glücklich, denn Freiheit und Glück gehen niemals Hand in Hand. Saskia hingegen, die mir in vieler Hinsicht so viel ähnlicher ist, mit ihrer Sorgfalt und ihrem Pflichtbewusstsein, wünschte ich, sie möge glücklich sein, denn frei, das wusste ich, würde sie nie sein. Eine Frau, die heiratet und Kinder bekommt, ist einfach nie so frei, wie ich es gewesen bin und wie es auch dir schließlich gelungen ist. Das war das Einzige, was ich für euch erhofft habe. Und alles, was ich euch habe lernen und studieren lassen und wofür ich teuer und manchmal auch überflüssiger Weise bezahlt habe, diente nicht primär dem Ziel, euch auf einen Beruf vorzubereiten, sondern euch zu bilden.
    Bei Saskias Examensfeier in Cambridge, nach der Zeremonie in der College-Kapelle, standen wir in der Nachmittagssonne auf dem wunderschönen Rasen und unterhielten uns mit ihren Kommilitonen. Was mich in Rage brachte und in gewisser Weise auch eine Bestätigung für die Perversion unserer Zeit ist, war, dass nicht einer ihrer Kommilitonen Lust hatte, Lehrer zu werden, die nächste Generation für Literatur und Geschichte zu begeistern oder, was weiß ich, nach Timbuktu zu gehen, um kleinen Afrikanern Englisch beizubringen. Alle wollten in die Finanzwirtschaft. Ich war wie vom Donner gerührt. Folco, überleg doch mal, ich hatte nur dreißig Jahre vorher studiert, und kein Einziger aus meiner Generation war in einer Bank gelandet. Einige von uns gingen zu Olivetti, aus Geldnot, aber der Gedanke, sich in diesen wunderschönen,

Weitere Kostenlose Bücher