Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
überall auf der Welt. Ohne Ideale geht es nicht.
FOLCO: Oft entscheidet man sich für etwas nur, weil man keine Alternativen kennt. Deshalb braucht man Vorbilder, an denen man sich orientieren kann. Meine wichtigste Erfahrung war wohl der Einsatz in Mutter Teresas Sterbehospiz in Kalkutta.
TIZIANO: Sie war eine Heldin, sie hat wirklich Wunder vollbracht. Es ist ihr gelungen, viele junge Leute aus ihrer banalen Routine zu holen und sie eine Zeitlang an etwas teilnehmen zu lassen, was ihr Leben verändert hat. Das war das Wunder. Viele kamen nach Indien, reisten durch Rajastan, im Zelt, mit Kamelen … und schließlich kamen sie auch nach Kalkutta, teils aus echtem Interesse, teils aus Neugier. „Alle sagen, Mutter Teresa sei eine Heilige. Ich will auch mal eine Heilige sehen!“Und Mutter Teresa musterte jeden Einzelnen aufmerksam und fragte: „Was für einen Beitrag kannst du leisten?“Da fühlte sich jeder bemüßigt, etwas Sinnvolles zu tun.
Wenn mich Jugendliche fragen: „Was könnte ich bloß tun?“, sage ich immer: „Sieh dich um! Die Welt ist voller Dinge, die entdeckt werden wollen.“Die Welt, die ich in Vietnam, Kambodscha und China erlebt habe, gibt es nicht mehr. Aber es gibt eine andere, und sie steht allen offen, die sie entdecken wollen. Frag mal deinen Anthropologen-Freund, der immer auf die Inseln Papua-Neuguineas fährt, Folco. Er kann dir bestimmt tausend interessante Dinge erzählen. Oder denk an Afrika! Wer kennt es schon wirklich?
Der junge Arzt, der letzte Woche versucht hat, mir Löcher in den Bauch zu bohren, erzählte mir, er habe sich auf eine Stelle als Assistenzarzt in einem Krankenhaus in den Cinque Terre beworben und mit etwas Glück werde der Chefarzt ihn nehmen. Ich war ganz betrübt bei der Vorstellung. Warum packt so ein junger Mann nicht seine Instrumente zusammen und fährt für zwei, drei Jahre in den Kongo, um kaputte Beine zu reparieren? Und etwas zu lernen! Und zwar nicht nur eine Technik. So etwas verändert dein ganzes Leben.
FOLCO: Meinst du, es ist nötig, immer gleich so weit zu fahren? Man kann seine Erfahrungen doch auch um die Ecke sammeln, oder? Das hängt vor allem von der eigenen Einstellung ab.
TIZIANO: Das stimmt schon, aber deine Einstellung verändert sich auch durch die Umstände. Kannst du dir vorstellen, mit was für Erfahrungen du zurückkommst, wenn du eine Weile in einem Krankenhaus im Kongo gearbeitet hast? Natürlich brauchst du dazu Mut, Entschlossenheit und Phantasie, aber die Möglichkeit besteht. Es stimmt einfach nicht, dass die Welt verrammelt ist, dass alle Türen verschlossen und alle Stellen schon besetzt sind.
Ich finde, das Beste, was ein junger Mensch tun kann, ist, sich eine Arbeit zu erfinden, die seinen Fähigkeiten und Bestrebungen entspricht und die ihm Freude macht, ohne diese ständige Resignation, ohne die es heute nicht mehr zu gehen scheint. „Leider kann ich das nicht, weil …“Jeder kann! Verstehst du, was ich meine? Man muss sich seine Arbeit erfinden. Das geht!
Ich habe Glück gehabt, denn mir ist es gelungen. Ich habe ja keineswegs ein typisches Journalistenleben gelebt, ich habe mir mein Leben erfunden. Überleg doch mal, ein Italiener, der ein bisschen Deutsch spricht, eigentlich eher radebrecht, und Asienkorrespondent eines deutschen Magazins wird; der tut, was ihm passt, fährt, wohin er will, schreibt, wie es ihm gefällt, und sogar seine Fotos noch selber macht, weil er keine Lust hat, mit einem Fotografen zu reisen. So einen Beruf gab es damals schließlich auch nicht. Und außerdem war das Journalistendasein für mich eine Art Tarnung, wie bei jemandem, der sich als Kaufmann präsentiert, aber in Wirklichkeit Geheimagent ist. Klar, ich habe meine Arbeit gern getan, aber meine Leidenschaft war sie nicht. Meine Leidenschaft war es, zu leben - auf meine Art, wie es mir passte, und all die wunderbaren kleinen Freuden des Lebens zu genießen.
FOLCO: Man muss aus der Reihe tanzen.
TIZIANO: Immer! Das ist das Thema Krishnamurtis, des Alten und vieler anderer kluger Leute: „Die Wahrheit ist ein Land ohne Wege.“Wer läuft, der findet. Keiner sagt dir: „Schau, das ist der Weg zur Wahrheit!“Das kann nicht gehen. Auf eingefahrenen Gleisen wirst du nie etwas Neues entdecken. Wie denn auch? Genauso ist es mit der Suche. Wer schon weiß, was er sucht, wird nie finden, was er nicht sucht … und dabei ist es vielleicht ausgerechnet das, was zählt, oder? Daher ist die Suche ein seltsamer Prozess, der große
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