Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
ist mein Enkel und trägt meinen Namen. Saskia hat mir gerade noch einen zweiten Enkel geschenkt. Natürlich finde ich diese Kontinuität schön, aber viel Gewicht messe ich ihr nicht bei. Denn würde ich den leidenschaftlichen Wunsch nach Wohlergehen und Glück, den ich dir gegenüber immer empfunden habe, jetzt auf deinen Sohn übertragen und hoffen, eines Tages möge er auf eine gute Universität gehen, ein nettes Mädchen heiraten und einen Beruf finden, der ihn glücklich macht - mein Gott, dann ginge ja alles wieder von vorne los! Dann könnte ich mir ja auch gleich Gedanken um seinen Sohn machen und hoffen, auch der möge eines Tages studieren, oder?
Doch all das passt in meine Weltsicht nicht mehr hinein.
FOLCO: Bist du bereit?
TIZIANO: Ich könnte schon morgen gehen.
FOLCO: Wirklich bereit?
TIZIANO: Ja, Folco, wirklich bereit, glaub mir.
FOLCO: Weil du mehr oder weniger mit allem abgeschlossen hast?
TIZIANO: Ja, mit allem. Auch Mama habe ich vorbereitet. Wir haben eingehend darüber gesprochen. Wir haben wirklich ein paar wunderschöne Tage gehabt, mit intensiven Gesprächen, und sie, die mich so genau kennt und ihr Leben lang so unglaublich großzügig mit mir gewesen ist, hat auch das verstanden. Es ist doch sowieso alles nur eine Wiederholung, und meistens eine schlechtere, weil die Geometrie des Körpers sich verändert hat.
FOLCO: War die letzte Begegnung mit etwas Neuem die mit dem Alten im Himalaja?
TIZIANO: Ja, so ist es. Fort, fort, immer weiter fort! Aus der Ebene, wo alles noch Materie ist, den Berg hinan, wo ich als Eremit in einer kleinen Hütte gelebt habe, ohne fließendes Wasser, ohne Telefon und Strom, von der Welt, dieser ganzen Welt, abgeschnitten. Dafür bin ich zutiefst dankbar.
Weißt du, Folco, es gibt Dinge, Ereignisse, Worte, die dich streifen, ohne dir etwas zu sagen. Später aber, in einer anderen Situation, kann genau das gleiche Wort womöglich dein ganzes Leben verändern. Aber wie unsere geliebten Inder sagen: „Ist der Schüler bereit, erscheint der Meister.“
Als ich am Neujahrsmorgen des Jahres 2000 auf jenen Gebirgskamm kam, war ich jemand anderes. Schon der Spiritus loci! Als der Alte dann den Mund öffnete und sagte: „Die Wahrheit ist ein Land ohne Wege“… Hätte ich das zwei, drei Jahre früher gehört, hätte ich gedacht: „So ein Quatsch, ohne Wege!“Ich hätte wissen wollen, wie hoch der Berg war!
Seine Stimme nimmt einen verschwörerischen Ton an.
Doch nun war ich bereit. Und die ersten Monate waren magisch, Folco, magisch! Es schneite immerzu, bald waren wir vollkommen eingeschneit. Ich wohnte in einer eisigen Hütte und stand nachts um drei oder vier Uhr auf, um zu meditieren, genau wie er. Es war eine … eine Atmosphäre, Folco …
FOLCO: Als läge etwas Wichtiges in der Luft?
TIZIANO: Ja, genau. Der Alte war wunderbar. Aufmerksam, großzügig. Er glaubte, endlich den Schüler gefunden zu haben, den er nie gehabt hatte.
Es war magisch, Folco, magisch, magisch, magisch. Die Erinnerung an jene Abende, an jene Stille, draußen der Schnee und drinnen der Alte, der mit einer Intensität sprach, und auch mit einer Sachkenntnis … Wenn ich ihm eine schwierige Frage stellte, meditierte er nachts drei Stunden lang darüber. Wenn ich ihn am Abend darauf wieder sah, brachte er die unglaublichsten Erkenntnisse mit. Nein, das war wirklich eine ungeheure Hilfe. Dafür bin ich ihm zutiefst dankbar.
Es war das erste Mal, dass wir über Dinge sprachen, die für mich, für uns beide, glaube ich, das Wichtigste im Leben waren.
TIZIANO: Und dann, muss ich sagen, hat dort im Himalaja neben dem Alten auch die Natur eine ganz große Rolle gespielt. Die Natur an sich.
Fast noch wichtiger als die Worte des Alten, die mich so faszinierten, war es für mich, zum Sonnenaufgang auf den Kamm zu steigen. Dort oben, im Angesicht dieses Meeres aus Stein und Eis, konnte ich spüren, wie lebendig ich war, wie die Windböen mir ins Fleisch schnitten. Das war es letztendlich, was mir Größe verlieh. Ich war erfüllt von Unermesslichkeit.
Ich bin einfach kein Intellektueller. Ich verstehe die Dinge zwar, sie interessieren mich auch und öffnen mir die Augen, doch in Wirklichkeit bin ich kein Kopf-, sondern ein Körpermensch. Diese Berge, Folco, diese Berge! Eines Morgens habe ich dort oben auf dem Kamm einen Marienkäfer gesehen. Und hatte plötzlich das Gefühl, dieser Marienkäfer zu sein, Folco, nicht ein Elefant, sondern dieser Marienkäfer! Ich folgte ihm mit dem
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