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Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
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ein bisschen Gemüse. Denk doch mal! Für die Bauern, die jahrhundertelang unter Hungersnöten gelitten hatten und oft sogar verhungert waren, war das ein Riesenfortschritt!
    Später hat man über diese blau gekleideten Chinesen gelacht, alle mit der gleichen Mütze, alle mit den gleichen Schuhen. Aber überleg mal, was das hieß, und das ist auch auf meinen Fotos zu sehen: Mao war es gelungen, allen, selbst in den ärmsten Gegenden, das Existenzminimum zu sichern. Sogar wir mussten uns erstmal eine Punktekarte besorgen, als wir in China ankamen und uns diese blauen Baumwollhosen kaufen wollten. Und auch dann konnten wir uns nicht einfach zwanzig Paar kaufen, weil wir reich waren, sondern nur zwei. Verstehst du? Das ganze arbeitende Volk, jeder Fabrikarbeiter, jeder Bauer hatte Anspruch auf eine gut gefütterte Jacke und eine von diesen blauen Hosen, die meinetwegen hässlich, aber solide waren, und dazu eine Mütze und Schuhe, wenn auch oft nur aus Baumwolle, sodass sie bei Regen im Nu durchweichten. Das war doch schon eine ganze Menge! Und für Leute wie mich unglaublich faszinierend.
    Ich bin nie Maoist gewesen, so wie ich mich überhaupt nie einer Gruppe oder Partei verschrieben habe. Aber diese Idee hatte mich in ihren Bann geschlagen. Von außen gesehen war das doch unglaublich! Wenn du Mao heute liest, im Nachhinein - denn die Geschichte ist erbarmungslos und zermalmt ihre Protagonisten - siehst du, dass er ein großer Dichter war, ein großer Stratege und auch ein großer Mörder. Dass er große Fehler begangen hat, und ein Fehler führte zum nächsten. Aber wenn du das Kleine rote Buch zur Hand nimmst, über das wir später lachten, stellst du fest, dass das ein hochinteressanter Text ist, wirklich eine kleine Bibel! Für den Chinesen vom Land, der gerade einmal lesen konnte, enthielt es jede Menge tröstlicher Wahrheiten, eine Weltanschauung, in der er eine Rolle spielte.
    Von der Columbia University aus gesehen, in deren Räumen ich über diese Texte gebeugt saß, während draußen der Widerstand gegen den Vietnamkrieg tobte, ist die Faszination, die der Maoismus auf uns ausübte, mehr als verständlich. Und auch die Kulturrevolution, die in China ausgebrochen war - und sich hinterher als eine entsetzliche Tragödie erwies, mit unzähligen Opfern, schrecklichen Blutbädern und all dem Rest -, war theoretisch gesehen unglaublich interessant. Auf dem Papier - und, wie gesagt, das waren die Jahre der Studentenbewegung, der Revolution der Phantasie - machte das alles Sinn. Das war genau das, was mich interessierte. Ein Agrarland, wo alle die gleiche Kleidung trugen, die Soldaten wie die Bauern, nur dass die der Soldaten grün war statt blau. Aber es gab keine Tressen und auch sonst keine sichtbaren Unterschiede.
    FOLCO: Gab es keine Dienstgrade?
    TIZIANO: Doch. Aber die Offiziere waren nur an dem Stift in der Brusttasche zu erkennen, den sie hatten, weil sie schreiben konnten. Das hat den Amerikanern im Koreakrieg übrigens große Schwierigkeiten bereitet, denn sie wussten nie, welche unter ihren Gefangenen Offiziere waren: Alle trugen die gleichen Schuhe, die gleiche Uniform, den gleichen roten Stern an der Mütze. So war das ganze Land. Wie hätten wir davon nicht fasziniert sein sollen?
    Deswegen wollte ich unbedingt nach China. Ich war neugierig, ich war Journalist, es war ja kein Zufall, dass ich Chinesisch studierte. Nichts anderes war mir so wichtig. Ich wollte mir diese Welt ansehen!
    In den USA gab es damals keinen einzigen Diplomaten oder sonstigen Vertreter der Chinesischen Volksrepublik. Also fuhren Mama und ich nach Kanada, das immer etwas unabhängiger gewesen ist. In Montreal gab es zwar keine diplomatische Vertretung, aber immerhin eine Wirtschaftsniederlassung, und wir wurden bei ihrem Leiter vorstellig, dem ehemaligen Sekretär von Zhou Enlai. Wir baten ihn auf Knien, uns nach China gehen zu lassen, als Italienischlehrer, Köche oder sonst was. Nichts zu machen.
    FOLCO: Du hast für deinen Traum ganz schön ackern müssen!
    TIZIANO: In Amerika wurde ich endlich auch ein echter Journalist, das heißt, über zwei Jahre schrieb ich jede Woche einen ellenlangen Artikel für L’Astrolabio , die findest du jetzt alle oben auf dem Speicher; über die Wahlen, die Schwarzen, die Proteste gegen den Vietnamkrieg, den Marsch auf Washington, die Morde an Robert Kennedy und Martin Luther King.
    Den Journalismus hatte ich mit meinen ersten, so hart erkämpftenArtikelnüber Südafrika wieder entdeckt.Wie

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