Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
Mal zu Bettina gehen, müssen wir daran denken, neue zu kaufen.
Das Telefon klingelt. Ich gehe hin, spreche aber nur kurz.
FOLCO: Es war Mara. Sehr diskret. Eine Umarmung und Schluss. Sie hat nicht mal gefragt: „Wie geht es ihm?“
TIZIANO: Gut.
Wir trinken zusammen den Vinsanto.
GESCHICHTE
TIZIANO: Nach dem Fall Phnom Penhs und meiner Begegnung mit den Roten Khmer fuhr ich schwer traumatisiert nach Singapur zurück.
Saigon fiel eine Woche später, aber ich wollte nicht hinfahren. Ich hatte Angst. Gerade war Paul Léandri von der AFP umgebracht worden, ein Freund von mir. Er war nachts an eine Straßensperre gekommen, und da er ein ziemlicher Hitzkopf war, hatte er dem Offizier wahrscheinlich eine pampige Antwort gegeben und der hatte seine Pistole gezogen und ihn - bumm! - abgeknallt.
FOLCO: Deshalb hat Mama dich zum Flughafen gefahren …
TIZIANO: … und mich ins letzte Flugzeug nach Saigon gesetzt. Sie sagte, es wäre besser, ich würde gefangen genommen, als sich jahrelang anhören zu müssen: „Das wäre meine Story gewesen und ich habe sie verpasst!“Denn Kambodscha war Sydneys Story gewesen, aber Vietnam war meine, verdammt noch mal!
So konnte ich den Fall Saigons miterleben. Denn alles, was ich geworden bin, alles, was ich getan und mitunter wieder verworfen habe, ist mit dem Segen eurer wunderbaren Mutter geschehen, dank ihrem Verständnis und ihrer Großmut. Nie, nie, nie hat sie gefragt „Warum?“, immer hat sie es von selbst begriffen. Nicht ein einziges Mal hat sie mir Schuldgefühle gemacht - „Warum willst du das tun? Und ich? Wozu habe ich dich überhaupt geheiratet?“-, immer hat sie mir unglaublich viel Freiheit gelassen. Oder Unfreiheit, wie damals, als sie mich ins letzte Flugzeug nach Saigon setzte, wodurch ich endgültig zum Journalisten wurde.
FOLCO: Bei der Befreiung Saigons warst du also mit dabei.
TIZIANO: Ja. In der Nacht, als klar wurde, dass die Stadt umzingelt war und nicht mehr länger standhalten würde, war mir schlecht vor Angst, Folco, und ich fragte mich, wie ich mich schützen konnte. Ich ging in all die leeren Zimmer des Hotels - die meisten Journalisten waren an jenem Morgen in fliegender Hast abgereist, nur etwa zwanzig von uns waren dageblieben - und nahm die Matratzen mit, nicht um darauf zu schlafen, sondern um im Fall von Raketeneinschlägen darunter zu schlüpfen und mich so wenigstens vor den Splittern zu schützen.
Die Kommunisten, die Vietcong, begannen, in Saigon einzumarschieren. Die Amerikaner flohen in ihren Hubschraubern mit den großen Scheinwerfern, viele Leute klammerten sich an die Kufen, wurden aber abgeschüttelt. In der amerikanischen Botschaft herrschte Chaos.
In jener Nacht konntest du die Geschichte spüren, Folco.
Als ich die ersten Panzer in die Stadt einfahren sah, als ich den ersten Mannschaftswagen voller Vietcong-Rebellen die Rue Catinat herunterkommen sah und sie giai phong! - Freiheit! - riefen, war das für mich einer der Momente, die Geschichte schreiben.
Ich brach in Tränen aus.
Nicht nur, weil der Krieg nun aus war, sondern weil ich den Puls der Zeit spürte. Das war ein historischer Moment. Wenn du dreißig Jahre später darüber nachdenkst, hat jener Tag tatsächlich die Geschichte Indochinas verändert. Du kannst sagen, was du willst, die Kommunisten mögen Schlimmes angerichtet haben, darüber kann man gern diskutieren - aber das war Geschichte.
Das habe ich immer so empfunden.
Er ist bewegt, wie ich ihn selten erlebt habe, und wirkt gleichzeitig unglaublich lebendig. Er senkt die Stimme, als wolle er mir ein Geheimnis anvertrauen.
TIZIANO: In so einem Moment ist nicht einmal wichtig, wer der Gewinner und wer der Verlierer ist: Das ist einfach Geschichte!
Wieder unterbricht er sich.
Nein, das war … Weißt du, so etwas kannst du ganz unterschiedlich erleben. Zum Beispiel als Journalist, der sich Notizen macht, einen Film dreht, alles sorgfältig aufzeichnet. Wir hatten ein paar sehr gute, mutige Leute dabei, etwa einen Italiener vom Fernsehen, der gerade erst angekommen und immer mit mir zusammen war. Für den hatte das alles keine tiefere Bedeutung. Er filmte und schickte seinen Beitrag ab, war innerlich aber überhaupt nicht beteiligt.
FOLCO: Er spürte nichts.
TIZIANO: Nein. Für mich hingegen war das ein umwerfendes Ereignis, ich spürte, dass es ein ganz großes Glück war, das miterleben zu dürfen. Verstehst du, was ich meine? Diesem Journalisten bedeutete es nichts, er wollte nur seine Arbeit
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