Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
Vom Netzwerk:
weiterreisen, um mich den übrigen Journalisten anzuschließen. Nichts hatte ich von den Roten Khmer begriffen, nichts!
    Es war schockierend. Kaum war ich in Poipet angelangt, kamen mir Hunderte von Bussen entgegen, die mit Flüchtlingen aus der Hauptstadt voll gestopft waren, dazu Panzerwagen der Regierungstruppen mit Soldaten, die sich die Uniformen vom Leib rissen und die Waffen wegwarfen, und Frauen und Kinder, die das letzte Stück Straße zur Grenze zu Fuß zurücklegten, um über die Brücke nach Thailand zu fliehen. Sie schrieen mir zu: „Lauf, lauf! Kehr um!“Doch ich Schwachkopf ging weiter die Straße entlang, als würde mich in meinen weißen Kleidern niemand erkennen!
    Irgendwann kamen die ersten Roten Khmer. Sofort sperrten sie die Brücke, damit die Leute nicht mehr fliehen konnten, und begannen, die Stadt auf der Suche nach ihren Feinden, den Soldaten von Lon Nol, zu durchkämmen. Ich hatte keine Angst. Ich sagte: „Ich bin Journalist“, ging seelenruhig herum und fotografierte. Bis mich eine Truppe von blutjungen Soldaten bemerkte. Da sah ich sie zum ersten Mal. Sie waren grau - nicht dunkelhäutig wie das Volk der Khmer, sondern grau: vom Dschungel, von der Malaria, von ihren Mauselöchern, wo sie sich vor den Bombardements verbargen. Und sie hatten einen seltsamen, unmenschlichen Blick! Als sie mich auf der anderen Straßenseite sahen, fingen sie an zu schreien: „Ameriki, Ameriki, CIA, CIA!“, und nahmen mich gefangen.
    Zunächst hatte ich keine Angst. Noch immer glaubte ich, als Journalist Immunität zu genießen. Doch dann brachten sie mich zum Markt und stellten mich an die Wand. Ihr Anführer, der nicht älter als achtzehn gewesen sein konnte, befahl ihnen, mich nicht aus den Augen zu lassen, das verstand ich. Einer der Knaben, ein etwa Sechzehnjähriger, zog seine chinesische Pistole und begann, sie mir mit ungeheurer Neugier und Sorgfalt übers Gesicht wandern zu lassen und mir damit in die Augen zu stechen. Das regte mich unheimlich auf! Plötzlich hatte ich das Gefühl, sie wollten mich auf der Stelle erschießen. Wieder sollte ich mich an die Mauer stellen, und sie schrieen: „CIA, CIA, Ameriki!“Da habe ich angefangen zu lachen - und das ist eine ganz große Lektion, die ich dir später weitergegeben habe: Wenn einer auf dich zielt, lächle ihn an! -, habe meinen Pass aus der Tasche gezogen und auf chinesisch, weiß der Himmel warum, gerufen: „Nein! Ich bin Italiener! Italienischer Journalist!“
    Und wieder einmal habe ich Glück gehabt. Der Markt in Poipet war groß und voller Leute - wahrscheinlich hatten sie keine Angst vor den Khmer, weil sie mit ihnen Handel trieben - und auf einmal trat ein Chinese auf mich zu. Auf Chinesisch erklärte ich ihm, dass ich nicht Amerikaner war, sondern Italiener, und dass ich gekommen war, um Zeugnis über „den großen Sieg der Khmer“abzulegen, die ihr Land endlich zurückeroberten. Das übersetzte er diesen Dummköpfen, und einer von ihnen meinte, mich zu töten sei eine zu große Verantwortung, vielleicht warteten sie besser einen Anführer ab.
    Ohne Essen und Trinken, mit diesem Jungen, der sich mit seiner Pistole ständig an mir zu schaffen machte, vergingen Stunden, bis nachmittags - diese Szene werde ich nie vergessen - eine Gruppe von Anführern kam, keine Halbstarken, sondern Kommandanten der Roten Khmer. Ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, als sei ich nichts als eine lästige Fliege an der Wand, ließen sie sich von den Jugendlichen erzählen, was geschehen war. Und endlich sagte einer, der schielte, auf Französisch zu mir: „Vous êtes le bienvenu dans le Cambodge libéré!“
    Mein Gott, ich war im befreiten Kambodscha willkommen!
    Er meinte, er wisse es zu schätzen, dass ich versuchte, den Kampf der Roten Khmer zu verstehen, und nun solle ich nach Hause fahren und dem Rest der Welt meine Geschichte erzählen. Mit seinen Schergen begleitete er mich zur thailändischen Grenze, öffnete den Stacheldraht, ließ mich über die Brücke gehen und grinste den internationalen Journalisten freundlich zu. Ein erster Anfang von Öffentlichkeitsarbeit!
    Nach mir waren noch dutzende Journalisten an die Eisenbahnbrücke gekommen. Die gesamte internationale Presse - soweit sie nicht in Phnom Penh festsaßen - hatte sich dort versammelt, um sich eine Vorstellung davon zu machen, was jenseits der Grenze vor sich ging. Längst hatte die Runde gemacht, dass dort ein Ausländer festgehalten wurde. Als ich dann kam, von diesen

Weitere Kostenlose Bücher