Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
untereinander verfeindet … Meine Güte, was kam da nicht alles an den Tag!
FOLCO: Das war ein anderer großer Moment für dich. Gab es noch mehr?
TIZIANO: Hm, da muss ich überlegen.
FOLCO: Vielleicht mit dem Alten im Himalaja?
TIZIANO: Ja, natürlich, richtig! Auch da habe ich etwas Großes gespürt, das mich streifte. Gute Frage, darüber muss ich nachdenken. Da gibt es noch so einiges.
FOLCO: Es gibt solche besonderen Momente, die du hinterher ganz klar umreißen kannst. Ich weiß genau, was du in diesen Momenten spürst, im Angesicht dieses Großen, Unermesslichen, das dich anweht. Ich habe das gespürt, als … Nein, für mich war das nicht die Geschichte. Im Grunde waren es ein paar besondere Begegnungen mit Menschen. Ein paar Mal die Liebe. Und der tibetische Lama, bei dem ich minutenlang mein normales Bewusstsein verloren hatte. Und Mutter Teresa und ihr Hospiz in Kalkutta. Das waren die Momente des Unermesslichen in meinem Leben, wo ich dieses Etwas gespürt habe, das mich tief berührte, wo ich mich verloren habe und mich doch plötzlich ganz lebendig fühlte.
TIZIANO: Ja, das lässt dich leben. Und es ist jenseits von aller Moralität. Weißt du, natürlich hätte man sagen können: „Was? Du bist fünfunddreißig, hast eine Familie, kannst mehrere Sprachen, hast zwei Universitätsabschlüsse, könntest Rechtsanwalt oder Abgeordneter sein, und stattdessen fährst du an die Front, wo du jederzeit abgeknallt werden könntest? Bist du nicht bei Trost?“
Doch das hätte es nicht getroffen. Es sind zwei vollkommen verschiedene Sprachen. Zwei grundverschiedene Welten, die sich nicht einmal berühren.
Du sagst, was ich im Angesicht der Geschichte spüre - das, was ich GESCHICHTE nenne -, kann man auch auf andere Weise spüren. Ich verstehe sehr gut, was du damit meinst, und ich glaube, du hast recht. Vielleicht sind religiöse Erfahrungen manchmal ganz ähnlich, nicht? Und große mystische Erfahrungen. Im Angesicht einer großen mystischen Erfahrung gibt es nichts mehr, keine Hierarchie, keinen Priester oder Kardinal, der sagen könnte: „Nein, du darfst keine direkte Verbindung zu Gott haben!“All das verschwindet, weißt du, es zählt einfach nicht mehr, denn du hast so einen Moment - wiiiuuu!
Er ahmt das Geräusch einer Rakete nach, die an ihm vorbeizischt.
FOLCO: Nimmst du dieses Vorbeiziehen der Geschichte wie einen Schatten wahr? Wie einen Geist?
TIZIANO: …
Er seufzt. Ihm fehlen die Worte.
NACH DEM KRIEG
TIZIANO: Mit dem Vietnamkrieg geht eine Phase meines Lebens zu Ende. Die Vietcong hatten den Sieg davongetragen, wie ich es mir immer gewünscht hatte. Doch ich beschäftigte mich weiter mit Indochina, und auch nach Vietnam bin ich noch oft gefahren. Mein Buch Giai Phong! war ins Vietnamesische übersetzt worden und wurde in der Schule gelesen. Jahrelang war es die offizielle Version von der Einnahme Saigons, und als ich im Jahr darauf nach Hanoi kam, wurde ich wie ein Held empfangen.
Ich war nun eine Persönlichkeit - aber ich blieb auch, was ich immer gewesen war: ein Skeptiker, der sich an keine Ideologie und keine Partei gebunden fühlt. Und so wurde mir schon im Jahr nach der Befreiung klar, dass die Dinge nicht so liefen, wie sie sollten. Ich begann, die Schattenseite zu sehen.
FOLCO: Zum Beispiel?
TIZIANO: Das Schlimmste war der Besuch eines Lagers, in das die Vietcong, meine alten Freunde, die Offiziere des abgesetzten Regimes gesteckt hatten. Natürlich waren das Mörder, die furchtbare Verbrechen begangen hatten, aber ich kann nicht anders: Wenn ich ein Gefängnis betrete, stelle ich mich spontan auf die Seite derer, die hinter den Gittern sitzen, und hasse die Kerkermeister.
Man lud mich also in dieses Lager ein, damit ich sah, wie gut die Insassen es hatten, und dann spielten die ehemaligen Offiziere ein Mozart-Quartett für mich. Da fielen mir die KZ der Nazis ein, in denen die Gefangenen für die Besucher musizieren mussten, und als der Lagerkommandant sagte: „Fragen Sie ruhig, wie es ihnen geht und ob sie ordentliches Essen bekommen!“, rief ich nur: „Meine Herren, wie ist das Wetter heute?“
Am traurigsten war, als ich am Ausgang etwas ins Goldene Buch schreiben sollte und die Kommentare der kommunistischen Journalisten aus Polen sah, die vor mir da gewesen waren und dieses „Vorbild an demokratischer Freiheit“in den höchsten Tönen priesen. Ich konnte es mir nicht verkneifen, etwas ganz Böses in das Gästebuch zu schreiben und groß „Tiziano
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