Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
darauf in Japan waren doch ungeheuer schwierig für dich!
TIZIANO: So ist das Leben nun mal. Oder meinst du, es sei ein einziges Zuckerschlecken? Ohne Leid kein Freud.
FOLCO: Aber du sagst doch, du seiest vom Schicksal begünstigt gewesen!
TIZIANO: Weil ich auch immer wieder unglaublich glücklich gewesen bin. Viele Leute erleben solche Momente nie. Weißt du noch, wie ich vor ein paar Tagen im Auto zu dir gesagt habe: „Folco, ich bin von einer Freude durchdrungen - ich komme mir vor wie in einem Nimbus.“So ist das. Sieh mich doch an, wie gut es mir geht! Vielleicht denkst du: „Der spinnt.“Mag sein, aber ich spüre diese Freude einfach. Und das ist ein riesiges Glück. Man könnte in einer Situation wie meiner auch hadern und sagen: „Warum ausgerechnet ich? Womit habe ich das verdient? “, aber ich finde es eigentlich ganz gerecht.
FOLCO: Nach dem Prinzip der Gegensätze müsstest du auch sehr gelitten haben.
TIZIANO: Nein, richtig gelitten habe ich nie. Obwohl ich immer gewusst habe, dass es Leid gibt und dass es auch mich treffen könnte.
FOLCO: Das hat es nicht?
TIZIANO: Wann denn, Folco? Ich bin doch immer davongekommen.
FOLCO: Merkwürdig. Na ja, reden wir also über deine Zeit in Japan.
Papa bereitet sich Tee zu.
TIZIANO: Eines muss ich gleich sagen: Japan war für mich ein totales Scheitern, vielleicht das einzige in meiner ganzen Karriere.
Das ging schon mit der Sprache los. Natürlich konnte ich kein Japanisch, und so bat ich den SPIEGEL, erst einen Sprachkurs besuchen zu dürfen. Ich ließ euch drei in Hongkong, fuhr zunächst allein nach Tokio und absolvierte einen dieser Intensivkurse, nach denen du entweder die Sprache kannst - oder du bist ein hoffnungsloser Fall.
Ich konnte danach kein Japanisch. Vielleicht war ich schon zu alt, denn Sprachen sollte man in jungen Jahren lernen. Ich hatte das dumme Gefühl, mein Verstand gleiche einem vollen Wassereimer: Immer wenn ein bisschen Japanisch hinzukam - schwapp! -, floss ein bisschen Chinesisch hinaus, und dagegen sträubte ich mich. Das erschien mir wie Verrat. So habe ich also nie wirklich Japanisch gelernt.
Es ging mir wie dem Historiker Gaetano Salvemini, der in Amerika Englisch lernte und auf eine Frage nach seinen Fortschritten sagte: „Allmählich beginne ich zu verstehen, was ich selber sage.“Doch in einem Land zu leben, dessen Sprache man nicht beherrscht, schränkt einen ungeheuer ein. Das ist, als würde man humpeln.
Das war meine erste Niederlage.
In jener Zeit wohnte ich in einem kleinen ryokan, einem hübschen, altmodischen Hotel mit einem Bambusrohr im Garten, aus dem nach altem Brauch Tag und Nacht Wasser plätscherte. Ich schlief auf einem Tatami und wollte nun Japaner werden. Es war eine perfekte Umgebung, um mich zu japanisieren, und doch ging mir alles gegen den Strich.
Schon bald wurde mir klar, dass ich mit der Wahl Japans den größten Fehler meines Lebens begangen hatte. Ich hatte jahrelang in einer Kultur der Größe gelebt, weißt du? Denn du kannst über China sagen, was du willst, aber dort war alles groß! Die Chinesische Mauer war groß, das Land war groß, seine Kultur war groß und seine Tragödie auch; es hatte unter großen Hungersnöten und großen Verbrechern gelitten, die Menschen hatten einen großen Geist, kurz, alles dort war groß gewesen. Und auf einmal befand ich mich in einer Kultur des Kleinen, des Details. Und das war ein Schock.
In Japan liegt die Vollkommenheit im Detail. Wenn dir im Restaurant eine Schale mit einfachem Reis gebracht wird, thront in der Mitte eine wunderschöne rote Kirsche, wie auf der japanischen Flagge. Das bento, eine Art Proviantdose aus Holz, in der die Leute ihr Essen mitnehmen, ist ursprünglich ein Gegenstand der armen Leute, und doch ist es sorgfältig gearbeitet und wunderschön. Wenn man in China essen ging, war der Tisch so schmierig, dass man fast daran kleben blieb, weil er nie abgewischt wurde, und wenn doch, dann mit einem fettigen Lappen - ein Schweinestall! Und die Teller wurden lieblos vor dich hingeknallt. In Japan hingegen ist alles raffiniert, von den Figuren, die die Kinder aus Papier ausschneiden, bis zu den Verbeugungen der Frauen. Aber es ist eben auch alles klein.
Sogar das Land selbst ist klein, wenn du es dir überlegst. Auf den Inseln ist kein Platz und in den bescheidenen Häusern auch nicht, sodass die Familien ihre Wasch- und Spülmaschinen, ihre Regenschirme und Schuhe auf den Bürgersteig stellen müssen. Obwohl Japan eines der
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