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Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
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wurde ich danach in den obersten Stock des SPIEGEL zitiert und mit den Anschuldigungen der Chinesen konfrontiert: Spionage, Diebstahl von Volkseigentum, konterrevolutionäre Handlungen. Ich saß vor der versammelten Runde der Chefredakteure und Ressortchefs wie vor einem Tribunal und wurde ohne Umschweife, ja fast kaltschnäuzig gefragt: „Was ist an diesen Vorwürfen dran?“
    Interessante Situation, was? Oft sind die Beziehungen zwischen Zeitungen, Journalisten und Geheimagenten kompliziert, weißt du, und als Chef eines Journalisten musst du dich immer fragen: Für wen arbeitet der eigentlich? Nach dem Mauerfall kam zum Beispiel heraus, dass einer der SPIEGEL - Korrespondenten in Berlin Agent der Stasi gewesen war. Aber das war ja eigentlich zu erwarten gewesen, nicht? Vielen anderen Zeitungen ist es ähnlich ergangen, aber es ist jedes Mal ein Drama. Und der SPIEGEL hatte überhaupt keine Lust, auch mit mir so ein Problem zu bekommen, falls sich irgendwann herausstellte, dass ich wirklich als Agent gearbeitet oder konterrevolutionäre Aktivitäten ausgeübt hätte.
    Ich hatte nicht viel zu meiner Verteidigung vorzubringen. Ich sagte einfach, wie es gelaufen war, und der SPIEGEL war so großzügig, das Ganze auf sich beruhen zu lassen.
    Mir wurde angeboten, nach Hongkong zurückzukehren. Doch ich wollte China nicht noch einmal durchs Schlüsselloch beobachten. Also bot man mir an, einen anderen Einsatzort zu wählen. Sogar Washington wäre möglich gewesen, dort war gerade eine Stelle frei geworden. Oder auch Lateinamerika.
    Das hat mich schon ein bisschen gereizt. Du liebst Lateinamerika, Folco, und kannst sicher verstehen, dass mich der Gedanke anzog, China hinter mir zu lassen und noch einmal ganz von vorn anzufangen. Eine Weile habe ich darüber nachgedacht, aber dann habe ich gemerkt: Nein, das bin nicht ich. Mein Leben war Asien. Ich kannte die Sprachen dieses Kontinents, seine Geschichte, seine Romane und Reisebeschreibungen. Von Lateinamerika kannte ich nicht einmal die Geographie! Welche Länder grenzen an Chile? Argentinien, Bolivien? Irgendwie hatte ich das Gefühl, das wäre nichts geworden. Lateinamerika war für mich eine Art schwarzes Loch - schön, neu, anders, aber nichts weiter. Und so widerstand ich dieser Versuchung.
    Und Washington erst! Wie hätte ich, von Natur aus Anarchist, Korrespondent in Washington werden und zu einer Pressekonferenz nach der anderen gehen können?! Nein, ich wollte Reporter sein und mitten im Geschehen stehen, immer. Ich hatte nicht die geringste Lust, auf die Vorfahrtsspur zu wechseln, um Chefredakteur zu werden. Denn viele meinen, gute Journalisten machten immer weiter Karriere, bis sie endlich an der Spitze des Blattes stehen.
    In den Jahren, als ich meine schönen Artikel aus China schrieb, lud mich der Chef der Auslandsredaktion des SPIEGEL einmal nach Bangkok ein - das habe ich dir sicher mal erzählt. Wir saßen auf der Terrasse des Oriental Hotel, unsere Ehefrauen waren auch dabei, und da sagte er zu mir: „Wir haben lange über dich nachgedacht und beschlossen, dich nach Hamburg zu holen und zu meinem Vize zu machen.“
    Ich erwiderte nur: „Entschuldigung, ich muss mal kurz auf mein Zimmer.“
    „Warte, ich bin noch nicht fertig.“
    „Nein, nein, ich muss sofort auf mein Zimmer, um meine Kündigung zu schreiben.“
    So eine Stelle hätte ich nie angenommen.
    Unter den Vorschlägen des SPIEGEL war schließlich einer, an den auch ich schon gedacht hatte: Japan. Japan weckte meine Neugier. Weißt du, den dramatischen Teil Asiens hatte ich bereits abgedeckt, die Indochinakriege, China mit seiner unglaublichen Geschichte des Maoismus. Japan dagegen stand für den positiven Aspekt dieses Kontinents, den Teil Asiens, der es geschafft hatte, sich aus der Unterentwicklung zu befreien und zu modernisieren.
    Dieses moderne Asien wollte ich jetzt kennenlernen. Ich wollte es sehen und begreifen, wie es funktionierte.

JAPAN

    Wieder ist ein grauer Regentag. Wir sitzen im Haus und haben ein Feuer im Kamin angezündet.
    TIZIANO: Ich habe in meinem Leben verdammt viel Glück gehabt, viel mehr als normal, doppelt, dreimal, viermal so viel!
    Nicht ein einziges Mal habe ich wirklich Pech gehabt.
    FOLCO: Empfindest du das tatsächlich so?
    TIZIANO: Ja, ganz eindeutig.
    FOLCO: Und die Ausweisung aus China?
    TIZIANO: Die kann man doch nicht als Pech bezeichnen, die hatte ich verdient. Ich hatte mich aufmüpfig verhalten und wurde rausgeschmissen.
    FOLCO: Aber die Jahre

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