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Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
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reichsten Länder der Welt ist, leben die Menschen unter bescheidensten Bedingungen. Und diese Kultur des Kleinen, des raffinierten Details beklemmte mich.
    Größe spürst du nur im Tod. Im Yasukuni- Tempel oder in den Museen mit all den Schwertern spürst du eine Kultur des Todes, des schönen Todes, in der die ganze japanische Romantik liegt.
    Er nimmt einen Schluck Tee.
    Schon bald fiel mir auf, dass es mir einfach nicht gelingen wollte, Freundschaft zu schließen. Dabei hatten wir in China jede Menge Freunde gehabt. Die Japaner aber, die ich kennenlernte, existierten nicht als Individuen; sie stellten die Rollen dar, die sie in der Gesellschaft verkörperten. Nie bist du wirklich du, nie bist du Tiziano Terzani; du bist immer nur der Journalist der Sowieso-Zeitung. Daher die enorme Bedeutung der Visitenkarten. Hast du keine, existierst du nicht, denn du bist nur das, was auf deiner Visitenkarte steht.
    Dazu fällt mir eine Geschichte ein, die mir ein französischer Diplomat erzählt hat. Er lebte seit vier oder fünf Jahren in Tokio, sprach relativ gut Japanisch und war eng mit einem Funktionär des Außenministeriums befreundet, der für die Beziehungen zu Frankreich zuständig war. Zunächst hatten die beiden beruflich miteinander zu tun gehabt, doch dann hatten sie begonnen, sich auch privat zu treffen. Eines Tages rief der Japaner den Franzosen an und sagte: „Ich wollte mich von dir verabschieden. Ich bin in ein anderes Büro übergewechselt und werde mich in Zukunft um ein anderes Land kümmern. Wir werden uns also nicht mehr sehen.“Verstehst du? Als er die Verantwortung für Ozeanien oder sonstwo bekam, rief er an und teilte dem anderen mit, ihre Freundschaft sei nun vorbei!
    Ist das nicht merkwürdig? Auch ich habe ähnliche Geschichten erlebt. Überleg mal, was das für deinen Vater hieß, so gesellig, wie ich bin, stets bereit, überall meine Nase hineinzustecken. In Japan war das unmöglich. Nie luden die Japaner einen zu sich nach Hause ein, höchstens in ein elegantes Restaurant.
    Nur einen einzigen Freund habe ich in Japan gefunden, Otomo. „O-tomo“heißt „großer Freund“. Und weißt du, warum? Weil er - ein Trinker, der sich allen Regeln entzog, der sich nachlässig kleidete wie ein französischer Existenzialist, ein hochintelligenter Mann, aber ohne feste Arbeit - zum Ausschuss dieser ganzen Maschinerie gehörte. Mit ihm Freundschaft zu schließen war möglich, weil er vom System ausgesondert worden war. Otomo war mein einziger Freund in Japan, mit ihm habe ich mehrere Reisen unternommen.
    FOLCO: Was die Welt so faszinierte, als wir Mitte der achtziger Jahre nach Japan kamen, war der unglaubliche technische Fortschritt des Landes. Jetzt macht uns das keine Angst mehr, aber damals wurde Japan als eine enorme wirtschaftliche Bedrohung erlebt. Man hielt es keineswegs für ausgeschlossen, dass es im Jahre 2000 die Welt beherrschen würde.
    TIZIANO: Stimmt, Japan hatte sich rasant entwickelt.
    Als ich 1965 ein paar Monate für Olivetti in Japan gewesen war, hatte ich ein armes, bescheidenes Land vorgefunden, das nach dem Krieg noch nicht wiederaufgebaut worden war. Das Japan, das du später kennengelernt hast, das Land der riesigen Kaufhäuser und funkelnden Wolkenkratzer, gab es damals noch nicht. Die Männer, mit denen ich morgens in den Bus stieg, hatten alle ein furashukin dabei, das waren diese wunderschönen bunten Tücher, die sie zu einem Beutel zusammenknoteten, um ihre Sachen darin zu verstauen. Furashukins waren billig, und jedes hatte sein eigenes Blumenmuster. Als ich 1985, also zwanzig Jahre später, wiederkam, gab es sie nicht mehr. Die Männer trugen nun Aktentaschen von Louis Vuitton. Japan hatte sich vollkommen gewandelt. Es war reich und arrogant geworden.
    Ich begann, meine üblichen Geschichten zu schreiben. In einer behauptete ich, wer in Japan leben wollte, müsste lernen, mit Maschinen zu sprechen. Wenn du dir nachts am Automaten ein Bier ziehen gingst, sagte er dir, wie viel Geld du hineinstecken solltest! Wenn du in ein Geschäft tratest, erklang eine elektronische Stimme: „Guten Tag, herzlich willkommen, einen Moment, ich bin gleich für Sie da…“Heute gibt es das überall, aber damals - schließlich kam ich aus dem postmaoistischen China - warf es mich um. Die Japaner redeten zwar nicht mit einem, aber dafür taten es ihre Maschinen!
    Die Modernität war dabei, alles zu zerstören. Auch in Florenz, meiner Heimatstadt, wird nichts Neues geschaffen, was schön

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