Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
wäre. Aber zumindest hat die Stadt es verstanden, die Schönheit der alten Zeiten zu erhalten. Sollte jemand eines Tages ein Maß für Schönheit und Harmonie suchen, kann er sich darauf beziehen. Als wir in Japan waren, sahen wir die Bulldozer jeden Tag ganze Straßenzüge niederwalzen. Das alte Tokio mit den kleinen Häusern, die ihm Leben verliehen hatten, wurde gnadenlos abgerissen, um Bürotürme zu bauen, und die Bewohner wurden in trostlose Vorstädte vertrieben. Überleg mal, was das heißt, in einer Stadt aufzuwachsen, in der es keine Anhaltspunkte mehr gibt! FOLCO: Du suchtest damals nach einem alten japanischen Holzhaus für unsere Familie, nicht wahr? Mit Fenstern aus Reispapier und Tatamis auf dem Boden.
TIZIANO: Ja, aber ich fand keines. Wir zogen schließlich in ein modernes Häuschen, das uns einigermaßen zusagte. Es gehörte einem alten Botaniker, einem Freund des Kaisers Hirohito. Aus den Fenstern blickte man auf einen wunderschönen Garten voller Büsche und alter Palmen, die der Professor im Laufe seines ganzen Lebens angepflanzt hatte. Nach drei Jahren starb er, seine junge Frau verkaufte den Garten, und eines Tages kam eine Mannschaft von Arbeitern mit Elektrosägen und Bulldozern, um alles abzuholzen und an Stelle des Gartens einen Parkplatz anzulegen.
Das war Japan!
FOLCO: Ein Leben, das deinem Charakter wirklich diametral entgegengesetzt war.
TIZIANO: Es war das banale Leben der Materie. Arbeiten, konsumieren, zwischen Peripherie und Stadtzentrum hin und her pendeln.
FOLCO: Und wie ging es dir dabei?
TIZIANO: Weißt du, wenn die Gegenwart mich nicht interessiert, suche ich meine Zuflucht in der Geschichte. Einer der Gründe meines Interesses für Asien war es ja herauszufinden, ob es dort gesellschaftliche und wirtschaftliche Alternativen zum westlichen Modell gab. Denn nur in der Vielfalt ist die Welt lebendig und sind die Menschen frei, davon bin ich fest überzeugt; eine Verflachung auf vorgefertigte Modelle hingegen treibt bestimmte Situationen auf die Spitze und merzt viele schöne Alternativen aus.
Es ist immer dasselbe Lied. Stets ist es der Westen, der bei den anderen anklopft, natürlich unter dem Vorwand, ihnen seine hehren Prinzipien zu bringen: heute die Demokratie und die Freiheit, im 19. Jahrhundert die freie Marktwirtschaft, früher das Christentum. Im Jahre 1853 erschienen die Amerikaner mit vier Kanonenbooten, den berüchtigten „schwarzen Schiffen“von Admiral Matthew Perry vor der japanischen Küste, um die Japaner zur Öffnung ihrer Grenzen zu zwingen und ihnen dann ihre Waren zu verkaufen - ein altes Schema, schließlich waren auch die Portugiesen aus demselben Grund nach Macao gekommen: Sie wollten China ihre Glitzerspiegel verkaufen und sich dafür die Gewürze und alles andere unter den Nagel reißen. Perrys Kriegsschiffe öffneten also Japans Märkte unter dem Vorwand, der freie Markt würde allen nützen. Und dasselbe geschah in China …
FOLCO: … zu dessen Märkten sich die Engländer durch die Opiumkriege Zugang verschafften.
TIZIANO: Genau. Japan war bis ins Mark getroffen von seiner Ohnmacht gegenüber den amerikanischen Kriegsschiffen. Es hatte sich für eine große Kultur mit einer großen Tradition gehalten: die Samurai mit ihren Schwertern, ihrer Ehre und so weiter. Doch gegen die anderen mit ihren Kanonenkugeln konnten sie damit wenig ausrichten. Also hatten sie einen schlauen Einfall: Da ihre Traditionen nicht dazu taugten, dem Westen standzuhalten, beschlossen sie, auf den Westen zuzugehen und durch Verwestlichung zu überleben.
Für uns ist das heute unfassbar, aber wenn man die alten Texte liest, ist es faszinierend: Unter Kaiser Meiji verfolgte das Land binnen weniger Jahre und mit einer Hartnäckigkeit, zu der nur die Japaner fähig sind, das Projekt, aus Japan ein westliches Land zu machen. Es hieß, Eisenbahnen zu bauen, also kopierten sie die Bahnhöfe. Sie kopierten sie einfach: Der Bahnhof von Tokio war eine detailgenaue Kopie des Bahnhofs von Amsterdam! Sie kopierten die Uniformen des preußischen Heers. Sie ließen Hunderte von Ausländern, die yatoi , ins Land kommen, um von ihnen zu lernen, wie man die Dinge auf westliche Art anpackt. Die gutbürgerlichen Familien der Meiji-Dynastie kleideten sich westlich und lernten Walzer tanzen. Die westlichen Zivil- und Strafgesetzbücher wurden kopiert, ein Heer nach westlichem Vorbild geschaffen und die Kriegsschiffe der Engländer nachgebaut. Mit durchschlagendem Erfolg: Schon nach
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