Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
wenigen Jahrzehnten, also Anfang des 20. Jahrhunderts, forderte dieses modernisierte Japan die großen asiatischen Mächte heraus und besiegte sie: erst das chinesische Kaiserreich der Mandschu, und dann in zwei oder drei Seeschlachten das russische Zarenreich, das damals in Asien die dominierende westliche Macht war.
So wurde Japan zu einer großen wirtschaftlichen und militärischen Potenz. Interessant, oder? Es rüstete auf, und unter dem Vorwand, die anderen Länder vom Joch der weißen Kolonialherren zu befreien, betrieb es eine Politik der eigenen Vorherrschaft. Daraus folgte der Zweite Weltkrieg, und immer so weiter.
Für mich jedoch, den die Frage interessierte, ob die alten Kulturen eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Alternative für unsere westliche Welt darstellen konnten, war Japan genau das Gegenteil von dem, was ich suchte, denn es war die getreuste und erfolgreichste Kopie des westlichen Systems. Eine Kopie, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg sogar noch selbst übertraf, als das Land nach der Niederlage anfing, seine Fabriken nach dem Modell des amerikanischen Taylorismus - in zugespitzter Form - wieder aufzubauen.
Interessant, diese Geschichte der Verwestlichung, oder? Wenn du die alten Japaner zu bestimmten Feierlichkeiten in ihrem Kimono oder yukata siehst, denn ansonsten tragen sie Anzug und Krawatte, hast du eine Ahnung davon, wie anders Japan früher ausgesehen haben muss …
Inzwischen ist das westliche Modell allseits anerkannt. Es ist nach China, Südostasien, Singapur, ganz Indochina vorgedrungen, nur Laos hat in gewisser Weise überlebt. In Fliegen ohne Flügel komme ich auf dieses Thema immer wieder zurück: auf Asiens sorglosen Selbstmord zugunsten eines westlichen Modells von Fortschritt, dem zuliebe diese Länder auf einen eigenen Weg verzichtet haben.
FOLCO: Warum eigentlich?
TIZIANO: Ganz einfach: weil sie das westliche Modell mit dem Fortschritt an sich identifizieren. Es ist uns gelungen, ihnen das Christentum zu verkaufen, den Kolonialismus und zum Schluss auch die Idee, dass es die Moderne nur in unserer Form gibt. Über Massenmedien wie das Fernsehen hat sich diese Idee über ganz Asien verbreitet.
Der Einzige, der dem zu widerstehen suchte, war Pol Pot, ein schlimmer Mörder. Denk nur, auf welche Mittel er zurückgreifen musste - die Grenzen schließen und die Leute umbringen -, um die Übernahme eines Modells zu verhindern, das für das einzig Erfolgreiche gehalten wurde.
FOLCO: Aber in Japan hat doch auch etwas von der alten Kultur überlebt, oder? Der Kaiser, der Shinto …
TIZIANO: Die Japaner glaubten, ihre Seele gerettet zu haben, indem sie sich einen westlichen Anstrich gaben. Das ist der Grund, warum sie immer sagten: „Ihr werdet uns nie verstehen.“
FOLCO: Weil sie im Grunde ihres Herzens Japaner geblieben sind?
TIZIANO: Weil sie glaubten, es zu bleiben.
Ein anderes, auch damals in Japan schon wichtiges Thema für mich war der Friede. Der atomare Holocaust hatte mich tief erschüttert; alles, was es über Hiroshima und Nagasaki zu lesen gab, hatte ich gelesen. Ich brannte darauf zu sehen, was dieses schreckliche Ereignis - die ersten beiden Atombomben der Geschichte, die auf die Zivilbevölkerung dieser beiden Städte abgeworfen worden waren - für Spuren hinterlassen hatte. Denn wir vergessen leicht, dass die Japaner als einziges Volk mit Atombomben angegriffen wurden. Das muss doch eine unglaubliche Wirkung gehabt haben, oder? Ich besuchte viele der alten hibakusha , der Überlebenden, unter ihnen auch einen hochintelligenten Architekten, der den „schwarzen Regen“als Kind abbekommen hatte. Alle waren zu überzeugten, engagierten Pazifisten geworden.
Doch auch von Hiroshima erwartete ich etwas, das ich nicht fand. Der Frieden war zu einem dermaßen abgedroschenen Thema geworden, dass einer meiner Artikel für den SPIEGEL mit den Worten begann: „Hier haben sogar die Tauben die Schnauze voll vom Frieden …“
FOLCO: Das glaube ich dir nicht!
Ich hole ein Exemplar von In Asien aus dem Regal und lese laut vor.
„Das Wort ¸Friede‘begegnet einem allenthalben. Selbst eine populäre Zigarettenmarke heißt so. Sogar die Tauben im Friedenspark oder auf dem Boulevard des Friedens scheinen vom Frieden mittlerweile genug zu haben …“
Na ja, so ungefähr …
Und das Blatt fand solche Themen reizvoll? Man hat nicht zu dir gesagt: „Das mag ja alles ganz interessant sein, Tiziano, aber willst du nicht mal einen Artikel über die japanische
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