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Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
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in Japan zum ersten Mal aus der Welt zurück und lebte eine Weile allein in einer kleinen Hütte im Daigo-Wald am Fuße des Fuji. Ich, der ich immer so gesellig gewesen war, probierte das Eremitendasein aus. Ich hatte mir meinen Computer und einen ganzen Stapel Ordner mitgenommen, denn ich besaß Unmengen von Notizen, hatte unzählige Interviews gemacht, Bücher gelesen, Zeitungsartikel ausgeschnitten, und um diese ganze Erfahrung abzuschließen, träumte ich damals noch davon, ein Buch über Japan zu schreiben.
    Drei Monate blieb ich dort. An schönen Geschichten und Anekdoten mangelte es mir nicht, aber die Nuss war zu hart, das Problem zu groß. Es gelang mir einfach nicht, die Angst und Beklemmung zu beschreiben, die mich gepackt hatte: die Angst vor der modernen Gesellschaft mit ihrer ungeheuerlichen Entmenschlichung. Das war mein Thema.
    Dort in Daigo wurde mir bewusst, dass ich Japan nie begreifen würde. Doch ich wollte noch einen letzten Versuch wagen: Ich wollte versuchen, es von oben zu betrachten. Von oben sieht man die Dinge oft besser, als wenn man mitten drin steckt. Also beschloss ich, mit Otomo auf den Fuji zu steigen. Ich wollte den Berg als Pilger erleben, bereitete mich entsprechend darauf vor und rasierte mir sogar den Kopf. Mit Zehntausenden von anderen Pilgern gingen wir los - um schließlich auf dem Gipfel, dem schönsten, heiligsten Ort, auf sprechende Maschinen zu stoßen. „Du musst noch eine Münze einstecken! Für eine Coca Cola reicht der Betrag nicht aus …“
    Auch der Fuji war also eine Enttäuschung. Ich verließ ihn mit dem Fähnchen in der Hand, das ich an allen Stationen hatte abstempeln lassen, und beschrieb in meinem letzten Artikel diese Bergbesteigung als Versuch, Japan zu begreifen.
    Ich verließ das Land mit einem Gefühl des Scheiterns. Auch das war nicht leicht auszuhalten. Aber wer weiß, vielleicht gab es ja gar nichts zu verstehen? Und es interessierte mich auch nicht mehr. Irgendetwas an Japan war mir verschlossen geblieben.
    FOLCO: Kannst du es auch heute nicht begreifen?
    Er schweigt, als hätte er mich nicht gehört.
    TIZIANO: Japan? Ich weiß nicht einmal mehr, wo es liegt.
    Schweigen.
    Nur manchmal kommt eine leise Sehnsucht nach einem Sushi in mir auf. Dann denke ich an die kalten Winterabende, an denen man in eines der hübschen kleinen Fischrestaurants trat, mit ihrem eigentümlichen Geruch …

DAS SCHILDKRÖTENHAUS

    TIZIANO: Ich glaube, alles Spätere - auch meine Krankheit - hat in Japan begonnen, ausgelöst von der tiefen Trauer, in einer so unfreien Gesellschaft leben zu müssen. Du, Folco, hast die chinesische Gesellschaft als repressiv erlebt; für mich war die japanische auch nicht freier und meiner eigenen noch dazu sehr ähnlich.
    In Japan ging es mir schlecht, ich war richtig krank, und als die fünf Jahre endlich um waren und der SPIEGEL wissen wollte, wohin ich nun wollte, bat ich ohne zu zögern darum, mir eine Stelle in einem Land zuzuweisen, das meinetwegen politisch nicht viel zählte, mir aber erlaubte, in das tropische Asien zurückzukehren, das ich so liebte. Ich hatte schreckliche Sehnsucht nach der Sonne und nach dem Gestank modrigen Gemüses morgens auf dem Gehsteig, dem Geruch der Tropen.
    Großzügig wie immer kam der SPIEGEL mir entgegen und erklärte sich damit einverstanden, ein Büro zu eröffnen, wo es bisher keines gegeben hatte, in Bangkok. Von dort konnte ich die Geschehnisse in ganz Asien verfolgen.
    FOLCO: Du kommst immer wieder auf den Geruch der Tropen zurück, den Geruch eines Lebens, das …
    TIZIANO: … einfach anders war. Du riechst ihn in Hongkong in der Gegend von Mongkog und Wanchai, wo die Arbeiter auf Hockern sitzen und ihre Suppe löffeln, oder in Saigon, wenn du auf der Straße einen pho isst. Es ist der Geruch einer Welt, in der ich mich … nicht eigentlich verloren, aber doch sehr wohl gefühlt habe.
    Vorbei, für immer vorbei …
    Eine Weile hängt er seinen Gedanken nach.
    Dort in Bangkok wendete sich das Schicksal, als Mama das schönste Haus fand, in dem wir je gewohnt haben: Turtle House, ein altmodisches thailändisches Holzhaus mit einem Garten voller tropischer Bäume und einem großen Teich mittendrin.
    War das schön!
    Kaum waren wir eingezogen, hatte ich einen seltsamen Traum. Ich träumte, mit einem riesigen, steinschweren Koffer aus Japan zu kommen, und als ich ihn in unserem neuen Garten öffnete, lag eine Leiche darin: meine eigene! Die Leiche von Tiziano Terzani, die ich unter einem Baum in

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