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Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
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Wirtschaft schreiben, die uns etwas direkter angeht?“
    TIZIANO: Natürlich hätten sie das gewollt, denn Japan war damals der „große Tiger“, die große wirtschaftliche Bedrohung der Welt. Aber darüber habe ich nicht eine einzige Zeile geschrieben. Ich schrieb über den Tod des Gott-Kaisers, über sprechende Maschinen, Toiletten und das Nachtleben der Salary-Men. Und der SPIEGEL hat mir freie Hand gelassen, denn am Ende kam dabei immer etwas heraus, was keiner erwartete.
    Von Wirtschaft verstand ich nichts. Und mich interessierte auch nicht, ob die Japaner mehr oder weniger Fernseher verkauften. Mir ging es um die Menschen, die diese Fernseher produzierten, und dieser Aspekt des modernen Japan war der reinste Wahnsinn.
    Von Anfang an hatte mich tief getroffen, was für ein schreckliches Leben diese armen Japaner führten. Die asiatische Ausprägung der Moderne, für die ich mich interessierte, war schlichtweg Furcht erregend. In den Firmen und Fabriken herrschten unvorstellbare Arbeitszeiten. Um zwanzig Uhr machten die Bankangestellten Feierabend, aber nicht etwa, um nach Hause zu gehen, nein: Sie gingen mit ihren Kollegen noch bis Mitternacht etwas trinken, um über ihre Arbeit zu sprechen! Sie hatten keine Sekunde Freiheit. Und alles in einem Tempo - verheerend! Die Shinkansen, diese Hochgeschwindigkeitszüge, brachten die Pendler in einer Stunde von weit draußen bis ins Zentrum der Städte …
    Das alles kam mir vor wie ein Fluch, der bald auch über den Rest der Welt kommen würde. Denn man darf die modernen Gesellschaften - das kann man gar nicht oft genug wiederholen - nicht nur nach der Effizienz ihrer Wirtschaftsstrukturen beurteilen; man muss sich vor allem den Menschen ansehen, den sie hervorbringen, und das Leben, das er führt. Was zählt, ist doch das Leben!
    Ich gehe nach draußen und hole einen Armvoll Holz.
    All das zeigte mir, dass die japanische Gesellschaft in ihrer Nachahmung des Westens über den Westen bereits hinausgeschossen war und ein Wirtschaftssystem hervorgebracht hatte, das den Menschen meiner Ansicht nach grundlegend entmenschlichte und, wie ich fürchtete, auch für Europa schlimme Folgen haben konnte.
    Um ehrlich zu sein, konnte ich mir damals allerdings nicht vorstellen, dass diese Art von Leben auch uns erreichen würde. Doch genau das ist geschehen, und zwar im Handumdrehen. Das liegt an der Globalisierung, bei der wirtschaftliche Oasen nicht vorgesehen sind. Bist du Teil eines gemeinsamen, freien Marktes, musst du mit allen konkurrieren, die schneller und billiger produzieren können als du. Und darin waren die Japaner unschlagbar.
    Damals schien es mir unmöglich, dass Europa wie Japan werden könnte, der Mensch auch bei uns auf ein Rädchen im Getriebe reduziert. Heute, fünfzehn Jahre später, finde ich alles, was mich in Japan damals so erschütterte, vor meiner Haustür wieder.
    FOLCO: Zum Beispiel?
    TIZIANO: Die kleinen Geschäfte schließen und überlassen das Feld den Supermärkten; Fabriken verschwinden, weil die Wirtschaft sich ändert; die Menschen müssen mit einem immer schnelleren Arbeitsrhythmus fertig werden, leben in immer kleineren Behausungen, sind immer einsamer und entfremdeter. Heute ist das auch bei uns so.
    FOLCO: Was dich beschäftigte, war also nicht nur die japanische Gesellschaft, sondern auch die Frage, wohin die ganze Welt steuerte?
    TIZIANO: Ja, denn das wurde am Beispiel Japans deutlich. Es war doch eine Tragödie, den Selbstmord einer so einzigartigen Gesellschaft mit anzusehen! Hundertzwanzig Millionen Menschen, die sich bis zur Erschöpfung anstrengten, um wirtschaftlich mit dem Westen mithalten zu können. Mir taten die armen Japaner leid, die so entmenschlicht waren, so allein, zu Rädchen erniedrigt, auf Rollen reduziert. Von allen Gesellschaften, die ich kritisiert habe, war dies die härteste. Sie trieb den Menschen zu einem absolut standardisierten Verhalten, vom Aufstehen bis zum Moment, wenn er abends wie tot auf sein Kopfkissen sank.
    Ich lege Holz nach. Papa beobachtet, wie es Feuer fängt.
    Japan war unglaublich hart für mich. Im Grunde begann dort meine Depression, die dann die Triebfeder für alles Spätere wurde.
    FOLCO: Deine Krise in Japan kommt daher, dass …
    TIZIANO: … ich keine Alternative mehr sah.
    FOLCO: Ich kann mich noch gut erinnern, wie du dich in Tokio verändert hast. Es muss die düsterste Zeit deines Lebens gewesen sein. Nie warst du zufrieden. Wenn wir uns zu Tisch setzten, war dir das Fleisch immer zu

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