Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
zäh und der Wein zu sauer. Tagsüber zogst du dich stundenlang in dein Arbeitszimmer zurück. TIZIANO: Stimmt, ich saß immer dort, las Zeitung und schnitt Artikel aus.
FOLCO: Das Gegenteil davon …
TIZIANO: … wie du mich immer erlebt hattest. Ja, so war das in Japan. Die meiste Zeit verbrachte ich in meinem Arbeitszimmer, von dem aus ich nicht mehr die Pflanzen des Botanikers, sondern einen Parkplatz sah.
Ich verfiel in eine tiefe Depression.
Weißt du, wo immer ich gelebt hatte, hatte ich immer auch „gespielt“. Mit den Dingen, mit denen sich die Menschen vor Ort ihre Zeit vertrieben. Denk doch nur an all meine xiao wan , meine kleinen Hobbys in China. Die Jaderinge, die Grillen, alles ein Spiel. Stunden um Stunden verbrachte ich damit. Und weißt du, Folco, was mein Spiel in Japan war? Die Börse! Ich spekulierte an der Börse. Das war das einzige Spiel, das es dort gab. Und Japan war das einzige Land, in dem ich morgens in der Zeitung nicht als erstes die Titelseite las, um zu erfahren, was in der Welt geschehen war, sondern den Wirtschaftsteil aufschlug, um zu sehen, ob der Aktienkurs von Fujitsu gestiegen oder gesunken war.
Das war so untypisch für mich, dass mich die Depression packte. Leicht zu erklären ist das nicht. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass ich wie die Japaner geworden war - nein, wirklich, es ist wichtig, dass du das verstehst -, denn ich war nicht mehr ich selbst. Von mir war nur noch der Journalist und brillante Gesprächspartner übrig geblieben, der brav seine Rolle spielte, immer dieselbe. Wenn ich am 14. Juli, dem Nationalfeiertag Frankreichs, in die französische Botschaft ging, hatte ich schon nach fünf Minuten - „Ach, wie interessant!“- die nächste Einladung zum Abendessen in der Tasche. Und auch da spielte ich die immer gleiche Rolle von Tiziano Terzani. „Als ich in Vietnam war …“, und „In welche Richtung China sich entwickelt …“Wenn ich am Ende des Abends dann aufstand, um mit Mama nach Hause zu fahren, war ich verzweifelt. Verzweifelt.
Ich lache.
Ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst …
FOLCO: Doch, doch, ich verstehe, was du meinst. Aber ehrlich gesagt habe ich nie verstanden, warum du dich auf diese Rolle eingelassen hast. Warum bist du nicht einfach in eine andere geschlüpft? Warum hast du bei einer eurer unzähligen Einladungen nicht versucht, einfach mal still zuzuhören, was die anderen zu sagen hatten?
TIZIANO: Tja, so bin ich nun mal, das ist eine Schwäche von mir. Bevor ich mir die hohlen Reden der anderen anhöre, erzähle ich lieber meinen eigenen Blödsinn, der ist amüsanter!
Wir lachen.
Am Ende verfügte ich über ein Repertoire, das ich nur aufzulegen brauchte wie eine Schallplatte und „Blablabla …“ging es los. Die große philosophische Frage, wer ich eigentlich war, stellte ich mir damals noch nicht. Es braucht Zeit zu begreifen, wer du bist, so einfach ist das nicht. Aber diese Identität lastete wie ein Stein auf mir. In Japan begann meine große Krise, und das lag an dem enormen Unterschied zwischen dem, was ich sein wollte und war, und dem, was ich sein musste.
Er legt seine Hand auf einen Stapel Fotos.
Auf diesen Fotos wird deutlich, wie sehr ich in Japan gelitten habe. Irgendetwas dort machte mich richtiggehend krank.
Wenn ich morgens aufstand, lastete ein bleischweres Gewicht auf meinen Schultern. Mama hat alles Mögliche versucht, jeden Morgen schlenderte sie mit mir durch die kleinen Straßen Tokios, um neue Cafés auszuprobieren - es half alles nichts. Es wurde so schlimm, dass ich, als wir einmal in Europa waren, einen berühmten italienischen Psychiater aufsuchte, um ihn um ein Mittel gegen meine Depressionen zu bitten. Was für ein Morgen! Wie viele Tränen! Er war unglaublich nett, behielt mich stundenlang da, und ich erzählte ihm all meine Probleme, dass ich nicht einmal mehr das Telefon ertrug und alles andere. Am Schluss sagte er: „Wenn Sie unter Depressionen leiden, dann leiden alle Menschen darunter. Solche Probleme haben Tausende! Doch ich verstehe, dass Sie das manchmal nicht mehr aushalten. Dann nehmen Sie das hier.“Und er gab mir eine Schachtel Prozac.
Von da an trug ich die Schachtel immer in der Tasche, auf der Reise von Fliegen ohne Flügel wurde sie zu meinem Talisman, und schließlich verfütterte ich die ganze Packung an Baolì, unseren alten, kranken Hund, der voll gepumpt mit Prozac glücklich entschlief.
In dem Versuch, etwas gegen meine Depressionen zu tun, zog ich mich
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