Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
dieses blonde Mädchen bei Sonnenuntergang in einem weißen Kleid an einem Flussufer in Nordthailand gesehen zu haben.
Am nächsten Morgen stiegen wir in ein Flugzeug nach Chiang Mai.
TIZIANO: Ja, genau! Du hast recht, so war das. Und kaum waren wir angekommen …
FOLCO: … ließen wir uns von einem Taxifahrer eine Liste aller billigen Absteigen von Chiang Mai geben, das waren ungefähr fünfzig. Und gleich in der ersten stand sie im Gästeregister!
„Im Moment ist sie nicht da“, meinte der Mann an der Rezeption. Also haben wir draußen gewartet, und nach einer halben Stunde kam sie.
TIZIANO: Sie war völlig verblüfft und auch geschockt, dass wir sie so leicht gefunden hatten. Sie fürchtete, wir würden sie ins nächste Flugzeug setzen und nach Hause schicken, weißt du noch? Doch wir dachten gar nicht daran! Ich sagte: „Du hast es auf Abenteuer abgesehen? Bitteschön!“Und dann gingen wir zu einem mahut, einem Elefantenführer …
FOLCO: … du hast mit ihm gehandelt und am Ende drei Elefanten gemietet, und dazu ein süßes Elefantenbaby, das seiner Mutter hinterherlief, und ab ging’s in den Dschungel - endlich saß ich auf einem Elefanten!
TIZIANO: Zwei, drei Tage sind wir durch den Dschungel geritten. Ich kann mich an eine Nacht in einer Hütte erinnern und an einen herrlichen Wasserfall, wo wir mit den Elefanten zusammen badeten.
Wie ist die Geschichte dann eigentlich ausgegangen? FOLCO: Das weiß ich, ehrlich gesagt, auch nicht mehr so genau. Ich glaube, wir haben sie nicht einmal ins Flugzeug gesetzt.
TIZIANO: Doch, später haben wir sie überredet, wieder nach Hause zu fahren.
FOLCO: Und am Ende ist dieses rebellische Mädchen in die Schule zurückgekehrt, hat Abitur gemacht und studiert. Und jetzt ist sie Tropenmedizinerin!
TIZIANO: Wie ich sehe, erinnerst du dich genau.
Siehst du, das ist auch so ein Fall, wo man Andersartigkeit akzeptieren muss. Wenn du sofort deine eigenen Regeln durchzusetzen suchst und schimpfst: „Einfach so wegzulaufen! Das ist ja ein Skandal!“, verdirbst du alles. Lässt du dem anderen aber Raum, vertraust du ihm und erlaubst ihm, seine Art zu leben herauszufinden … Außerdem hatte sie gar keine Dummheiten gemacht. Klar, so etwas ist auch mit Risiken verbunden, aber manchmal muss man eben aus den vorgegebenen Bahnen ausscheren und ausprobieren, was man wirklich will …
FOLCO: Und das hatte sie getan und dabei unglaublichen Mut bewiesen. Wie habe ich sie heimlich bewundert! Doch das Komischste dabei ist: Als wir ihr erzählten, wie wir sie gefunden hatten, meinte sie erstaunt, sie sei nie bei Sonnenuntergang an jenem Fluss gewesen! Und im weißen Kleid schon gar nicht!
ORSIGNA
Die Beine überkreuz sitzen wir in Papas Gompa, auf dem Stapel Teppiche, die auf einer breiten Bank liegen. Diese Teppiche sind auch sein Bett.
TIZIANO: Machst du ein bisschen auf?
Ich öffne die Tür, die auf die großen Kastanien hinausgeht.
FOLCO: Ist das heiß heute!
TIZIANO: Diese Gompa ist wunderbar. Spürst du das schöne Feng Shui?
FOLCO: Ja, er ist schön, dein kleiner Holzkasten, er hat etwas Geborgenes, hier geht keine Energie verloren. Nur ganz wenige Dinge, eine Handvoll Bücher, nicht einmal Platz für einen Tisch. Und nichts mehr von all den schönen Gegenständen, die du im Laufe deines Lebens gesammelt hast. Nur die kleine Bronzefigur da hast du noch.
TIZIANO: Wie die Taoisten. Von all meinen Sammlungen habe ich hier nur diese billige, moderne Kopie einer tibetischen Bronzefigur: Milarepa, Dichter und Mystiker aus dem Jahre 1100, der mit der Hand am Ohr dem Leid der Welt lauscht. Ich liebe ihn und habe ihn immer bei mir. Und wenn ich ihm eine Blume hinstelle, macht das mein Leben noch schöner. Er leistet mir Gesellschaft, ich sehe ihn an und lächle. Mehr brauche ich nicht.
FOLCO: Gegenstände gibt es hier fast keine, aber dafür ist alles bunt, selbst die Wände sind orange und violett angemalt.
TIZIANO: Violett habe ich immer gemocht. Ich habe mal einen Farbtest gemacht, dieses New-Age-Zeug, weißt du? Danach bedeutet meine Vorliebe für Violett mein Streben nach Spiritualität!
Er lacht.
FOLCO: Wie hast du diesen schönen Fleck eigentlich gefunden?
TIZIANO: Ich war mit fünf zum ersten Mal in Orsigna. Ich litt oft an tuberkularer Lymphknotenentzündung, und das Pferdefleisch, das ich bekam, reichte als Kur nicht aus. „Der Junge braucht gesunde Luft“, meinte der Arzt. Und so brachte mein Vater, dein Nonno Gerardo, mich hierher.
Wir stiegen in
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