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Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens

Titel: Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiziano Terzani
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einfach zu sagen: „Es gibt keine Lösung“, sollte man sich mit diesem Problem ernsthaft beschäftigen.
    Denk doch nur an die Andersartigkeit der chinesischen Kultur. Die Chinesen schreiben anders, essen anders, schlafen anders als wir. Ist es da nicht merkwürdig, dass auch sie auf einmal alle Krawatten tragen? Verstehst du, was mich so zur Verzweiflung bringt, Folco? Die Chinesen, die entdeckt hatten, dass man sich nichts um den Bauch binden soll, was den Energiefluss des Qi unterbinden könnte, tragen plötzlich Gürtel von Pierre Cardin! Das ist doch schrecklich, oder? Was mir dabei solche Kopfschmerzen bereitet, ist das Ende der biologischen Vielfalt! Dass es keine Bauernäpfel mehr gibt! Dass wir alle die gleichen Äpfel essen, gleich groß, gleich rund, gleich glänzend, und damit die Vielfalt beseitigen, die doch die Grundlage unseres Lebens ist! Denn ich bin fest davon überzeugt, dass der Reichtum der Menschheit in der Verschiedenheit liegt. Warum müssen die Tuareg unbedingt Unterhosen tragen? Lasst sie doch Tuareg bleiben!
    Ich frage mich: Ist es möglich, den anderen ihre Werte zu lassen, sie bei der Behandlung des Trachoms zu unterstützen und sie zu bitten, uns bei der Behandlung einer Krankheit zu helfen, die noch viel verheerender ist, nämlich unser Unglücklichsein?
    Papa unterbricht sich mit einem schweren Keuchen.
    Oioioi, den Eimer, Folco!
    Er hustet.
    Was ist besser, dass dem Kind bei Sonnenuntergang Sandelholzpaste aufs Gesicht gestrichen wird oder Niveacreme?
    Gib mir den Eimer! Oioioi, heute ist es ja richtig schlimm, mein Gott!
    FOLCO: Hast du wieder diesen Knoten im Magen?
    TIZIANO: Ja, genau hier.
    FOLCO: Hast du heute Morgen etwas gegessen?
    TIZIANO: Nur eine Mehlsuppe.
    FOLCO: Du hast ganz heiße Hände.
    Weißt du, in Indien habe ich einmal miterlebt, wie abends die ganze Dorfbevölkerung zusammenlief, nicht weil jemand einen Fernseher mitgebracht hatte, sondern weil ein umherziehender Sadhu in den Ort gekommen war, ein Heiler, Musiker und Geschichtenerzähler.
    TIZIANO: Wie schön! Die Frage ist bloß, wie lange noch? All das ist auch in Asien im Verschwinden begriffen, in meinem Asien, das ich so geliebt habe, und du später auch. Und trotzdem kann man gewisse Einwände nicht einfach vom Tisch wischen. Wenn jemand sagt: „Du bist ein hoffnungsloser Romantiker, aber du hast ja auch kein Trachom und überhaupt so viel Penizillin, wie du willst!“- dann hat er durchaus recht.
    Wo also ist der Mittelweg? Wenn man etwas gegen das Trachom tun will, ist es dann wirklich unumgänglich, einen wunderschönen Ort wie Mustang in einen Haufen Baracken zu verwandeln, in denen die Frauen, die ihr Feuer heute noch mit dem gesammelten Kuhmist anzünden, von morgens bis abends an ihren Nähmaschinen sitzen und - tatatatata - Turnschuhe fertigen müssen, um sich einen Fernseher zu kaufen, mit dem sie dann Big Brother sehen können?
    Wo ist die Lösung? Ist es möglich, die Schönheit der Welt zu retten, die in ihrer Vielfalt besteht? Das ist der springende Punkt. Verstehst du, was ich meine?

DIE ORGANISATION

    Der Sommer ist da, die Schäfer sind mit ihren Herden aus dem Tal heraufgekommen. Die Luft ist erfüllt von Glockengebimmel und angenehmem Stallgeruch. Wir sitzen im Schatten des Ahorns.
    TIZIANO: Woher könnte bloß die Antwort auf all unsere Probleme kommen? Wie kann den Menschen, die so verzweifelt und hil flos nach Lösungen suchen, geholfen werden? Das habe ich mich auf meinem Weg oft gefragt.
    Einmal, als ich gerade die Meerenge von Malakka passierte, an einem jener schönen Abende, an denen man auf Deck sitzt und den Sonnenuntergang betrachtet, sah ich am Horizont Dutzende von herrlichen kleinen Inseln, und da kam mir der lustige Gedanke, die Lösung könnte in einer Verschwörung der Poeten bestehen. Denn mir schien, nur die Poesie könne uns einen Schub neuer Hoffnung verleihen. Ich suchte mir eine weit entfernte, unwichtige, auf keiner Karte verzeichnete Insel aus und stellte mir vor, dort wüchse eine Generation junger Dichter heran, die nur auf den Moment wartet, das Schicksal der Welt in die Hand zu nehmen. Ich hatte das Gefühl, die Lösung könne nicht bei Parteien, Institutionen oder Kirchen liegen, wo es doch immer nur die gleiche Leier ist, heute noch dazu ohne die ideologische Begeisterung von früher.
    Und dann sagtest du mir eines Tages etwas, was mich überraschte. Du sagtest, bei deinem Leben in Indien oder Kalifornien oder auf deinen Reisen träfest du manchmal

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