Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
Florenz auf einen Militärlastwagen und fuhren los. Wenn man von Pracchia das Orsignatal hinauffährt, gelangt man an einem bestimmten Punkt an die Brücke mit dem Tabernakel, das die Grenze zwischen dem Kirchenstaat und dem Großherzogtum Toskana markierte. Da ließen wir uns absetzen. Danach ging es noch ein Stück den Fußweg entlang, der von dort bis zur Piazza des Ortes führt. Da mein Vater schon mehrmals in dem Ort gewesen war, kannte er ein paar Leute, und so quartierten wir uns bei einem Alten namens Cesare ein, dem Wirt der Trattoria. Wir wurden aufgenommen, als gehörten wir zur Familie, und dieses herzliche Verhältnis ist immer geblieben.
Das erste Mal blieben wir einen Monat und danach verbrachte ich jeden Sommer in Orsigna, so wie du jetzt auch. Ich habe dir ja erzählt, dass ich als Kind immer unter der Fuchtel meiner Mutter stand und sie mich in Florenz nie allein auf die Straße ließ, und so wurde Orsigna für mich zum Synonym für Freiheit. Hier konnte sie mich nicht mehr festhalten, hier brauchte ich nur aus dem Haus zu gehen, um die Welt zu genießen - die Wege, die Berge, die Nachtwanderungen und am Ende den Sonnenaufgang. Und so gab ich mein erstes selbstverdientes Geld dafür aus, von Guidino, dem Dorfdichter, ein kleines Stück Land zu kaufen: dieses hier. Nach einem ganz einfachen Entwurf von Großmutter Renate bauten wir den ersten Teil des Hauses: einen großen Wohnraum, ein Schlafzimmer für Mama und mich, und ein Zimmer für unsere zukünftigen Kinder. Die Steine holten wir mit einem Maultier vom Fluss.
Dies war die Zuflucht vor der Florentiner Welt, meine zweite Heimat, die meinem Leben Zauber verliehen hat, das ist mir jetzt klar geworden. Denn dieses geschlossene Tal, das nirgendwo hinführt, mit seiner bitterarmen Vergangenheit ist ein Ort voller Geheimnisse. Die Leute lebten in Feldsteinhäusern mit winzigen Fenstern, damit die Kälte nicht eindrang, viele besaßen nicht einmal einen Kamin. Der Mann, der uns das Land verkauft hat, bewohnte mit seiner Frau, einer Hexe, wie gemunkelt wurde, einen Raum, dessen Wände ganz schwarz vor Ruß waren.
Die Leute lebten einfach, von Kastanien, Pilzen und dem Korn, das sie anbauten. Aber alle waren Poeten. Das wiederum kommt daher, dass sie Hirten waren, Leute, die mit einem Grashalm im Mund auf dem Berg stehen und, die Herde im Auge, über Gott und die Welt nachdenken. Sonntagabends wurden auf dem Dorfplatz die Wechselgesänge in improvisierten Stanzen ausgetragen, bei denen zum Beispiel der eine die Liebe zu blonden Mädchen, der andere die zu brünetten verteidigte. Wie liebte ich diese endlos langen Abende mit Wein und Gesang!
Das sind meine Kindheitserinnerungen, so bin ich aufgewachsen, und jetzt wird mir klar, wie wertvoll diese andere Welt für mich gewesen ist. Weißt du, in Orsigna hatte jeder Ort seine Geschichte; jedes Tal, jede Schlucht, jeder Bach hatte seine Magie. Überall spürte man die Gegenwart geheimnisvoller Wesen. Es gab Hexen und Ungeheuer, die Leute lebten nicht in der Welt des Fernsehens, sondern im Reich der Phantasie, und abends erzählte man sich seit Generationen überlieferte Geschichten.
Er mimt einen Bänkelsänger.
Es war Hexensabbat. Die Nacht war finster, es schneite und der Wind heulte durch den Wald. In dem alten Bauernhaus von Castello saßen die Frauen am Kamin und spannen. „Ihr Hasenfüße schlottert ja vor Angst“, sprach die Jüngste, „ich aber glaube nicht an Hexen.“Und zum Beweis steckte sie Spindel und Wollknäuel in ihre Schürze und ging allein in die Nacht hinaus. Schon bald kam sie in den dunklen Wald, als plötzlich von hinten etwas an ihr zog. Sie versuchte, sich zu befreien, konnte aber keinen Schritt mehr tun. Am nächsten Morgen wurde sie tot aufgefunden. Die Spindel war auf die Erde gefallen und im Schnee stecken geblieben, aber als sie es von hinten ziehen fühlte, hatte sie gemeint, eine Hexe zerre an ihr, und war vor Schreck gestorben. Seitdem trägt jener Ort den Namen „Das Grab“. Ein anderer Ort heißt „Die Schleuder“. Als ein Betrunkener eines Abends vom Dorf nach Hause torkelte und dort einen fürchterlichen Fluch ausstieß, wurde er gepackt und von einem Felsen in die Tiefe geschleudert.
Mich faszinierten diese Geschichten. Sie verliehen dem Tal Leben, alles war beseelt. Es ist ein Glück, in so einer Welt aufzuwachsen, sie ist viel reicher als eine, die nur aus „Dingen“besteht.
Das meine ich, wenn ich von der Wahrheit hinter den Dingen spreche. Klar, du
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