Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
Dimensionen. Das wäre doch mal etwas anderes, als zusammen fernzusehen oder Pizza essen zu gehen.
Und es wäre gar nicht so schwer. Schließlich zwingt uns ja niemand, dies oder jenes zu tun. Klar, der Konsumismus ist ein System, eine Maschinerie, aber wir können uns ihm auch einfach entziehen. Wir können schließlich selbst entscheiden, ob wir in die Pizzeria gehen oder mit unserem Kind Glühwürmchen betrachten wollen.
Folco, diese Welt ist ein Wunder! Sie ist ein unglaubliches Wunder! Und wenn du es schaffst, dich als Teil dieses Wunders zu fühlen - nicht das Du mit den zwei Augen und zwei Füßen, sondern das DU, dein innerstes Wesen - was kannst du dann noch wollen? Hm? Was kannst du dann noch wollen? Ein neues Auto?
INDIEN
Ich hole Papa in seiner Gompa ab.
FOLCO: Da bin ich!
TIZIANO: Eine Stunde, bloß um mich zu waschen!
FOLCO: Ich kann dir jetzt die Spritze geben. Du meinst also, du hättest dreißig Kilo abgenommen?
TIZIANO: Ja, siehst du nicht? Guck mal, Folco! Ein Schnitt von hier bis hier und ein anderer weiter unten. Ich will dir das zeigen, damit dir bewusst wird, wie der menschliche Körper sich verändern kann.
FOLCO: Du hast einen riesigen Bauch.
TIZIANO: Die Proportionen! Der Bauch riesig …
FOLCO: … und die Arme nur noch Haut und Knochen.
TIZIANO: Die Beine inzwischen auch. Und die Haut ganz grau und trocken.
FOLCO: Schlangenhaut! Gangotri Baba hatte auch so eine Haut. Er sagte, er habe im Dschungel zuviel Kobragift getrunken!
Ich lache.
TIZIANO: Sie erzählen dir, was sie wollen. Aber verstehst du, was mit meinem Körper los ist?
FOLCO: Quält er dich?
TIZIANO: Nein, ich identifiziere mich einfach nicht mehr mit ihm. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich dieser Körper bin.
FOLCO: Hast du den Eindruck, er gehe seiner eigenen Wege?
TIZIANO: Ja, er tut einfach, was ihm passt.
FOLCO: Ist es nicht mehr dein Körper?
TIZIANO: Nein, nicht mehr. Wirklich nicht.
FOLCO: Bis wann war er es denn?
TIZIANO: Na, also weißt du … Du willst ja wohl nicht behaupten, ich hätte schon immer so ausgesehen?!
So, jetzt begleite mich mal dort unter den Baum, dann setzen wir uns ein bisschen. Wie schön, hier geht es mir gut.
FOLCO: Du hast einen ganz klaren Kopf, während dein Körper … Das muss seltsam sein. Manchmal verabschiedet sich der Geist vor dem Körper; du hingegen hast einen perfekt funktionierenden Geist, der sich nicht mehr mit seinem funktionsuntüchtigen Körper identifizieren kann.
TIZIANO: Nicht identifizieren will!
FOLCO: Hat das Waschen dich ermüdet?
TIZIANO: Eine Stunde, Folco, um mir die Zähne zu putzen!
FOLCO: Und die Haare zu waschen. Wäschst du sie täglich?
TIZIANO: Ja. Und hundert Bürstenstriche.
FOLCO: Warum? Damit sie schön kräftig bleiben?!
TIZIANO: Auch, um mich nicht zu sehr gehen zu lassen. Sonst fühlst du dich bald wie ein Tier. Auch deshalb will ich niemanden mehr sehen, verstehst du?
FOLCO: Wenn du angezogen bist, sieht man dir gar nichts an.
TIZIANO: Aber ich spüre, was los ist. Alles geht den Bach runter. Stell dir vor, sogar die Barthaare beginnen mir auszugehen.
FOLCO: Aber du hast doch Unmengen davon!
TIZIANO: Folco, dieser siebenjährige Bart müsste mir bis zu den Knien reichen!
FOLCO: Das ist nicht gesagt. Die Sadhus schneiden sich die Haare auch nie, und manche haben schulterlange, bei anderen reichen sie bis auf den Boden. Meine würden nie so lang werden.
TIZIANO: Auch nicht, wenn du sie bei zunehmendem Mond schneidest?
Wir lachen.
Gut, Folco, jetzt lass uns über irgendetwas reden.
FOLCO: Wer fängt an, du oder ich?
TIZIANO: Mir ist lieber, du fängst an, das weißt du ja.
FOLCO: Na gut. Weißt du, was ich gern wissen würde? Als du vierzig wurdest, hast du etwas Seltsames getan: Zu diesem Anlass bist du nach Indien gefahren. Dabei interessiertest du dich zu jener Zeit für China, den Kommunismus, Vietnam und Kambodscha. Wieso also diese Reise nach Indien?
TIZIANO: Nicht ich bin nach Indien gefahren, wir alle sind nach Indien gefahren! Das war wichtig, denn es war so etwas wie ein Initiationsritus. Weißt du, es gibt Dinge im Leben, die tust du, ohne wirklich zu wissen warum. Erst später, wenn du dein Leben in Zeitlupe betrachtest oder, wie ich gern sage, von einer Anhöhe aus, siehst du den Weg, den du zurückgelegt hast.
Im Jahre 1978 lebten wir in Hongkong und warteten darauf, nach China gehen zu können. Obwohl die Dinge, mit denen ich mich beschäftigte, mich wirklich interessierten, verspürte ich das
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