Das Ende meiner Sucht
2005 wurde ein Versuch mit Baclofen vereinbart. Skalen zur Messung von Craving und Laborparameter wurden nicht erhoben. Im ersten Monat steigerte er die Dosierung schrittweise auf 100 mg/Tag verteilt auf dreimal täglich und berichtete von einer vollkommen befriedigenden Reaktion. Er empfand das Trinken nun als eine »fremde Welt«. Einmal unter Stress steigerte er die Dosis auf 140 mg/Tag. Als Nebenwirkung verspürte er nur eine milde Entspannung, keine Sedierung. Die positive Wirkung ließ nicht nach, wie er es bei Naltrexon erlebt hatte, und er bezeichnete Baclofen weiter als »meine Wunderdroge«. Wenn er trank, waren es nie mehr als 12 Drinks pro Woche oder 3 auf einmal, und es stellte sich keine Euphorie mehr ein. Nach Anweisung des anderen Psychiaters schlich er das Paroxetin aus, erlebte die Rückkehr von Depression und Angst, versuchte kurzzeitig und ohne Erfolg Effexor XR 75 mg und kehrte zu Paroxetin zurück.
DISKUSSION
Ich arbeite seit über 20 Jahren mit substanzabhängigen Menschen, die von ihrer Sucht wegkommen wollen. Ich bin ein Anhänger von AA und Narcotics Anonymous (NA) und glaube, dass der Kontakt zu solchen Organisationen der am meisten Erfolg versprechende Weg zu nachhaltiger Gesundung ist. Dennoch habe ich immer wieder mit Patienten zu tun, denen es mit oder ohne solche Kontakte trotz offensichtlicher Anstrengungen nicht gelungen ist, dem Impuls zum Rückfall zu widerstehen, selbst wenn ich glaube, die psychiatrische Komorbidität erfolgreichbehandelt zu haben. Nach meiner Erfahrung profitierten solche Patienten von oralem Naltrexon, Acamprosat oder einer Kombination von beidem. Ich gebe Patienten Disulfiram, wenn ich glaube, dass es ihnen helfen wird, aber verlasse mich nicht darauf, dass es das Craving reduzieren wird. Mit der Injektion von Naltrexon habe ich noch keine Behandlungserfahrung.
Herr A. ist nach meiner Einschätzung typisch für eine sehr große Zahl von Patienten, deren Craving durch die gängigen, von der FDA zugelassenen Wirkstoffe zur Behandlung von Alkoholabhängigkeit und durch Topiramat nicht befriedigend gemildert wird. Ich berichte hier, dass er eine befriedigende Reaktion auf hoch dosiertes Baclofen erlebt hat, die dann über zehn Monate ohne nennenswerte Nebenwirkungen erhalten blieb. Eine Toleranz wie bei oralem Naltrexon hat sich nicht entwickelt. Toleranz gegenüber Baclofen wurde in Einzelfällen nur nach jahrelanger intrathekaler Gabe bei schweren Spastiken berichtet (Nielsen et al., 2002). Im Gegensatz zu dem, was Dr. Ameisen berichtet, war die Gabe eines selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmers (SSRI, Paroxetin) anscheinend erforderlich, weil Baclofen allein Herrn A.s Angst oder Depression nicht zufriedenstellend linderte.
Als Einzelfallstudie ist dieser Bericht natürlich nur eingeschränkt aussagekräftig. Ein Placebo-Effekt ist möglich. Wenn das so sein sollte, gibt es allerdings keine plausible Erklärung, warum ein Placebo-Effekt nicht bei Versuchen mit Naltrexon und Acamprosat allein oder in Kombination und unter Topiramat aufgetreten ist. In Anbetracht der Tatsache, dass hoch dosiertes Baclofen seit nahezu 40 Jahren zur langfristigen Symptomlinderung bei Patienten mit Muskelspastiken aufgrund unterschiedlicher neurologischer Erkrankungen (Rückenmarksverletzungen, Multiple Sklerose) eingesetzt wird und keine schwerwiegenden, irreversiblen Nebenwirkungen berichtet wurden, könnte es eine sichere, wirksame und gut verträgliche Ergänzung unserer Bemühungen zur Behandlung dieser Patientengruppe sein. Potenzielle Nebenwirkungen sind niedriger Blutdruck, Auswirkungen auf die Blutzuckerkontrolle bei Diabetikern, Sedierung und Veränderungen bei der Anfallskontrolle. Es sollten randomisierte Studien mit Baclofen durchgeführt werden, um es hinsichtlich der Unterdrückung von Alkohol-Craving und seiner potenziellen Wirkungen zu testen.
DANKSAGUNG
Ich danke Dr. Ameisen für seine Unterstützung und dafür, dass er mir von seinen Erfahrungen berichtet hat.
LITERATURANGABEN
Addolorato, G., Caputo, F., Capristo, E. et al. (2002a), Baclofen efficacy in reducing alcohol craving and intake: a preliminary double-blind randomized controlled study, Alcohol and Alcoholism 37, S. 504–508.
Addolorato, G., Caputo, F., Capristo, E. et al. (2002b), Rapid suppression of alcohol withdrawal syndrome by baclofen, American Journal of Medicine 112, S. 226–229.
Addolorato, G., Leggio, L., Abenavoli, L. et al. (2006), Baclofen in the treatment of alcohol withdrawal
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