Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ende meiner Sucht

Das Ende meiner Sucht

Titel: Das Ende meiner Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Ameisen
Vom Netzwerk:
Innovation ermöglichte eine sehr zuverlässige Diagnose einer leichten, mäßigen oder schweren Erkrankung der Herzkranzgefäße.
    Im Rahmen meiner Arbeit las ich oft Langzeit-EKG-Geräte ab, sogenannte Holters (benannt nach ihrem Erfinder Norman Holter), in einem fensterlosen Raum auf der Herzstation. Der Raum hatte nur eine Tür, und manchmal verspürte ich eine sich steigernde Angst, wenn ich dort saß. Es war nicht Klaustrophobie. Eher hatte es damit zu tun, dass ich nicht ungesehen verschwinden konnte, wenn jemand plötzlich hereinkam. Die Vorstellung war ein Problem für mich, nicht weil ich mich vor der Arbeit drücken wollte, sondern weil ich mich so fühlte, als könnte ich jederzeit ohne Vorwarnung kontrolliert werden, und dann erwartete ich, dass man mit mir nicht zufrieden sein würde. Ich war sicher, dass die Leute mich nur deshalb freundlich behandelten, weil ich ein Exot war: der Typ aus Frankreich.
    Eines Tages brachte Paul Kligfield eine Frau von der Payne Whitney Psychiatric Clinic mit und erzählte, dort interessierten sie sich für die Herzfrequenzvariabilität bei Menschen mit Panikattacken. Ich hörte den Begriff Panikattacken zum ersten Mal, damals war er noch nicht sehr geläufig. Als sie mir die diagnostischen Kriterien für Panikattacken erläuterten, begriff ich, dass das alles auf mich zutraf.
    Manche meiner Kollegen nahmen gegen Lampenfieber vor Vorträgen Betablocker, die Symptome wie Herzklopfen und Zittrigkeit lindern. Gegen meine Ängste halfen Betablocker nicht. Etwas besserhalfen Valium und Xanax. Aber ich fühlte mich nicht wohl, wenn ich Benzos geschluckt hatte, und man sollte sie auch nicht zu oft schlucken, weil sie abhängig machen und das Gedächtnis und andere kognitive Fähigkeiten beeinträchtigen. Die Folge war, dass ich mich manchmal selbst anpiepste, damit ich eine Konferenz verlassen konnte und niemand das Ausmaß meiner Angst bemerkte.
    In meiner täglichen Arbeit hatte ich den engsten Kontakt zu Paul Kligfield. Wir wurden Freunde, und als ich zur Untermiete in der 60. Straße West wohnte, gingen wir regelmäßig ein Stück unseres Heimwegs gemeinsam. Ich ging sogar ein paar Blocks weiter mit, bis zur 57. Straße und dann wieder zurück, weil ich unsere Gespräche so genoss. Freitags abends lud mich Paul oft ein, mit ihm und anderen Kollegen ein Bier zu trinken. Ich begleitete ihn ein paar Mal, blieb aber bei alkoholfreien Getränken, doch in einer Bar gehört Alkohol einfach dazu, und bald ging ich nicht mehr mit.
    In meinen ersten Jahren am New York Hospital-Cornell redeten mir einige Forscherkollegen zu, doch ganz in der Forschung zu bleiben. »Du wirst gut verdienen, hast geregelte Arbeitszeiten und musst dich nicht mit Patienten herumärgern, die mitten in der Nacht anrufen und fragen, ob sie Tylenol nehmen sollen oder Aspirin. Wir sind doch alle allergisch gegen Patienten.«
    »Ich habe gerne mit Patienten zu tun«, erwiderte ich.
    Sie fanden mich verrückt, aber mir machte es wirklich Spaß, Patienten zu behandeln. Die Möglichkeiten, Menschen mit Herzproblemen helfen zu können, erfüllte mich mit großer Freude und Befriedigung. Deshalb bemühte ich mich um die Weiterbildung zum Facharzt und eine Abkürzung meiner Assistentenzeit am New York Hospital-Cornell, denn ich hatte schon Assistenzzeiten in Frankreich absolviert. Ich wollte endlich Patienten behandeln. Das war mir der liebste Teil der medizinischen Arbeit.
    Interessanterweise hatte ich nie Angstzustände bei Patientengesprächen und auch keine Panikattacken in medizinischen Notfallsituationen, weil sie meine Aufmerksamkeit von mir selbst abzogenund meine Konzentration ganz auf die Probleme des Patienten gerichtet war. So war die Tatsache, bei der Behandlung von Herzerkrankungen an vorderster Front zu stehen, für mich die beste Medizin gegen Panik. Ich funktionierte am besten in Krisensituationen, wenn schnelle Entscheidungen getroffen werden mussten, um einen Patienten zu stabilisieren oder zu retten.
    Ich arbeitete mehrere Jahre in der Forschung, aber im Sommer 1986, nach nur einem Jahr der in Amerika üblichen zweijährigen Facharztausbildung in der Kardiologie, wurde ich zum Dozenten für Medizin am Cornell University Medical College ernannt und wurde Facharzt am New York Hospital. Meine Arbeit bestand zu einem Drittel aus Forschung, einem Drittel aus der Behandlung von Patienten und einem Drittel Lehre.
    Das war der Anfang einer glänzenden Zeit in meinem Leben. Ich hatte einen Beruf, den ich

Weitere Kostenlose Bücher